Niedergang durch Arroganz

Avatar of Ralf JannkeRalf Jannke - 26. April 2020 - Wissen

In den 1950er Jahren gelang einem deutschen "Fach"-Journalisten das Kunststück, die revolutionäre Erfindung von Asahi (Pentax) – den Rückschwingspiegel – , nach der heute JEDE (D)SLR funktioniert, ins Gegenteil zu verkehren…

Erst als der selbstverschuldete Niedergang der deutschen Kameraindustrie nicht mehr zu verheimlichen war, mussten „Fach“-Magazine die wegbrechenden Anzeigeneinnahmen der deutschen Hersteller mit Werbung für japanische Produkte auffangen. Bis dahin existierte in den Hofberichterstattungen hochwertige japanische Fototechnik so gut wie nicht… 

War die Arroganz und Besserwisserei damit beendet? Nein!

Diesen Beitrag eines unsäglichen Texters – heute würde man ihn als Lobbyist bezeichnen – aus den Anfang der 1980er Jahre muss man einfach mehrfach lesen. "PR-Masche", "Die Mavica-PR-Kampagne ist unseriös", "Werbe-Klamauk"…

Übrigens: Wie übersetzt man „Besserwisser“ ins Schwedische? Ganz einfach: „Besserwisser“ ;-) Eins zu Eins von den Schweden ins Vokabular übernommen…

Die finale (deutsche) Fehleinschätzung kam 1996

Und man hätte es bisser wissen können, MÜSSEN! Der oben gezeigte Absatz war in der letzten Ausgabe einer Photokina Messezeitung zu lesen – 1992! Stattdessen:

>> Wir sollten uns (...) keine Sorgen machen. (...) Sowohl qualitativ, als auch preislich steht die digitale Fotografie mindestens für zehn, zwanzig Jahre nicht in direkter Konkurrenz zu der klassischen. << Aus: „AGFA EXPERTENTRAINIG (19)96, Nr. 4 – Die Zukunftsperspektiven“ Eine Fehleinschätzung mit katastrophalen Folgen: Am 31. Dezember 2005 ist AGFA zahlungsunfähig und stellt die Produktion von Filmen und Fotopapier ein.

Kein deutsches Problem, denn Kodak "wählte" den gleichen Weg in den Abgrund

Als Mitarbeiter in den Kodak Apparatus Division Research Laboratories (KADRL) erhielt Steve Sasson nach seinem abgeschlossenen Masterstudium der Elektrotechnik 1974 den Auftrag, sich näher mit den damals neuartigen CCD-Bild-Sensoren zu befassen. Ergebnis war 1975 ein fast 4 Kilogramm schweres Monstrum und doch die erste Digitalkamera der Welt – von Kodak. Auflösung 100 x100 Pixel = 0,01 Megapixel. Das Speichern der Bilddaten auf eine konventionelle Audio-Kassette dauerte pro Bild ca. 30 Sekunden.

Über 15 Jahre nach Kodaks Prototyp berichtet Kodaks ehemaliger Vizepräsident Don Strickland in der ZDF-Dokumentation "Firmen am Abgrund – Das Foto-Unternehmen Kodak" über seine Idee einer Digitalkamera für alle. Er durfte die filmlose Kamera tatsächlich entwickeln, aber nicht in Kodaks Hauptsitz Rochester. Sondern unter völliger Geheimhaltung in Yokohama/Japan.

1992 besuchte ein Kodak Marketingchef Yokohama, um sich vom Fortschritt des Projekts zu überzeugen. Das Erreichte gefiel ihm gut. Don Strickland sollte mit einer Präsentation dem Vorstand berichten. Eine von Anfang an verunglückte Vorstellung, die mit der Frage startete, ob alle wüssten, was Strickland da eigentlich in Yokohama mache… Ergebnis seiner Präsentation waren „Giftpfeile“ und Bemerkungen wie: „Das geht gar nicht“ oder: „Ich verstehe das nicht.“ Der zweite, diesmal entscheidende Fehler Kodaks nach 1975 und Steve Sassons Prototypen. Sassons Erfindung wurde 1978 mit Bemerkungen wie: „Das ist ja ganz nett, aber erzähl’ keinem was davon…“ patentiert, und weggeschlossen.

Nach der durchgefallenen Präsentation der neuartigen Digitalkamera zog Don Strickland die Konsequenzen. Er kündigte und ging zu – Apple. Dabei durfte er die Konzepte und Pläne der Kamera – ich nenne sie mal DC40 – mit zu Apple nehmen. Ergebnis war 1994 die von Kodak für Apple gebaute QuickTake 100/150. Warum sich Kodak dann doch entschloss die Kamera unter eigenen Label als Kodak DC40 zu vermarkten, wurde in dem Video nicht berichtet.

Und Kodak heute? Wie AGFA, letztlich existiert nur noch der Name…

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1 Kommentare

Nico van Dijk

17. Mai 2020

Ein toller Bericht, Ralf! Und was geschah mit der deutschen HiFi-Industrie (Dual, Telefunken, Grundig, Nordmende, Blaupunkt, u.v.a.)?

Leica läuft ratlos in der Kamerawüste herum und produziert Kamera's und Optik, die keiner bezahlen will. Übrigens in enger Zusammenarbeit mit Asiaten. Die Leica M3 war die letzte echte Leica. Die Leica SLR's (= Minolta) sind heute schrottreif. Dr. Heering hat vor 40 Jahren schon gewarnt dass die Japaner die deutsche Kamera-Industrie zerdrücken werden.


Was ist digicammuseum.de?

Die analoge Fotografie blickt auf eine etwa 170-jährige Geschichte zurück, seit etwa 100 Jahren sind Fotoapparate auch für Privatleute erschwinglich. Trotzdem sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die Fotografie zu einem Hobby für Millionen von Menschen wurde und der Fotoapparat zum selbstverständlichen Accessoire jeder Urlaubsreise.

Um so überraschender ist es zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit die etablierte Technik in wenigen Jahren nach der Jahrtausendwende in eine Nischenexistenz zurückgedrängt wurde. Ersetzt wurde sie durch Digitalkameras. Diese haben in kürzester Zeit eine atemberaubende Evolution durchlaufen und haben ihre analogen Vorfahren weitgehend überflüssig gemacht. In fast allen Haushalten wurde die alte Spiegelreflex- oder Kompaktkamera durch ein digitales Modell ersetzt.

Während die meisten analogen Kameras viele Jahre, teilweise auch Jahrzehnte lang genutzt wurden, landen die meisten Digitalknipsen nach drei bis vier Jahren in der Schublade und müssen einem leistungsfähigeren Modell weichen. Die technischen Fortschritte werden jedoch immer kleiner. Digitalkameras haben einen Stand erreicht, der keine drastischen Verbesserungen mehr zulässt. Der Boom fand seinen Höhepunkt um die Jahre 2008-2010 und hat seither deutlich nachgelassen.

Das ist auch schon rein äußerlich zu erkennen: In den ersten Jahren war bei den Herstellern von Digitalkameras der Wille zu beobachten, die neue Technik auch für Innovationen in Design, Bedienung und Funktionalität zu nutzen. Inzwischen ist diese Phase weitgehend vorbei und die Hersteller haben zu den aus analoger Zeit bekannten Kameratypen zurückgefunden: Kompaktkameras auf der einen und Systemkameras auf der anderen Seite.

Die in Smartphones eingebauten Kameras sind inzwischen jedoch so gut, dass sie Kompaktkameras die Existenzberechtigung geraubt haben. Wozu ein separates Gerät kaufen, wenn man vergleichbare Bilder auch mit dem Handy hinbekommt, das man zudem immer in der Tasche hat?

Es entsteht so im Moment die paradoxe Situation, dass so viel fotografiert wird, wie noch nie in der Geschichte - und gleichzeitig immer weniger "richtige" Kameras verkauft werden. Mag sein, dass die Ära der Fotoapparate für jedermann zu Ende geht und bald nur noch Hobbyfotografen und Profis als Kamerakäufer übrig bleiben. Deswegen ist nicht zu früh, die "wilden Jahre" der Digitalkamera-Entwicklung zu dokumentieren.

Diese Homepage war anfangs vor allem als virtuelles Museum meiner Kamerasammlung gedacht. Inzwischen ist daraus ein Projekt geworden, bei dem ein wachsender Kreis von Autoren tolle Beiträge zur Digitalkamera-Geschichte beisteuert. Den weitaus größten Anteil daran hat Ralf Jannke, der mit seinen Praxisbeiträgen die verschiedensten Themen detailliert behandelt und großartig bebildert. Was sich allerdings nicht geändert hat: Die Homepage ist ein reines Hobby- und Spaßprojekt. Wir freuen uns über den Austausch mit anderen Sammlern und Fotobegeisterten. Es gibt keine Werbung und wir sind auch keine bezahlten Influencer. Falls Sie allerdings noch eine spannene Kamera herumliegen haben, die Sie nicht mehr brauchen - wir sind immer auf der Suche nach weiteren Exponaten.

Boris Jakubaschk