Unehrliche Bilder?

Avatar of Boris JakubaschkBoris Jakubaschk - 19. März 2017 - Wissen

Was fällt Ihnen bei den beiden Bildern auf? Sie zeigen die gleiche Ziegelwand, bei etwa gleicher Brennweite bei ISO 800 fotografiert. Links mit einer neun Jahre alten Canon EOS 50D mit EF-S 17-85 Kitobjektiv, rechts mit einer aktuellen Panasonic Lumix DMC-G81 mit 14-140 Kitobjektiv. Zu sehen ist natürlich nur ein Ausschnitt, auf etwa 200% vergrößert. Das Bild der Lumix wirkt deutlich schärfer – dafür sind allerdings Strukturen zu sehen, die es in der Vorlage definitiv nicht gibt. Im weicheren Bild der Canon verschwindet die Struktur der Ziegelsteine bei schwachen Kontrasten ein wenig in der Unschärfe, bleibt aber erkennbar.

Die Lumix hat also etwas hinzuerfunden. Aus der regelmäßigen Ziegelstein-Struktur ist ein wildes Liniengewirr geworden. Vor allem Smartphones  und aktuelle Consumerkameras produzieren Bilder von fast unnatürlicher Schärfe und übertriebener Farbigkeit, die mit der Realität oft ähnlich wenig zu tun haben wie typische Postkartenmotive.

Seit vielen Jahren protzt jede Kamerageneration mit gegenüber den Vorjahresmodellen verbesserten technischen Daten. Anfangs war es vor allem die schnell wachsende Auflösung. Heute werden trotz gleichbleibendem Pixelpitch und damit weitgehend unveränderter lichtempfindlicher Fläche pro Pixel immer höhere ISO-Werte nutzbar. Und offenbar kann man heute mühelos ein 40fach-Zoom bauen, wo vor zehn Jahren bereits ein 10faches Zoom nur mit starken Kompromissen bei der Bildqualität möglich war.

Einerseits gab es natürlich Fortschritte in der Technologie der Sensoren. Deren Lichtausbeute und Rauschverhalten wird beständig besser. Allerdings kann das nur einen Teil der Zuwächse erklären. Auch bei den Objektiven kann man einen Lerneffekt unterstellen und leistungsfähigere Computer und Algorithmen ermöglichen Objektivberechnungen, die vor Jahren noch kaum denkbar waren.

Der wesentlich entscheidendere Faktor ist jedoch die kamerainterne Bildoptimierung. Die heute verwendeten Algorithmen schaffen es, das Bildrauschen weitgehend herauszurechnen und dabei die Bildschärfe nicht zu beeinträchtigen. Zumindest die Messwerte sind daraufhin großartig und suggerieren, dass das Bild bei wachsendem ISO-Wert kaum schlechter wird. Noch stärker greifen die Algorithmen bei den Objektiven ein: Verzeichnungen und Vignettierungen, die bei Super-Super-Zooms fast zwangsläufig auftreten, werden schlicht und ergreifend kompensiert und sind so im Bild unsichtbar. Und das gilt nicht nur für Bilder, die als jpg auf der Speicherkarte landen – auch Raw-Bilder sind inzwischen längst nicht mehr so roh, wie der Name glauben macht.

Wer digital fotografiert, muss sich daher darüber im Klaren sein, dass das Objektiv der Kamera ein Bild auf den Sensor wirft, das im Anschluss geradegebogen, an den Ecken aufgehellt, von chromatischen Aberrationen befreit, entrauscht, nachgeschärft und farboptimiert wird. Und dabei sind kamerainterne Effekte wie HDR noch gar nicht berücksichtigt.

Aber ist das am Ende noch eine Abbildung der Realität oder zeigen die Bilder nur, was die Entwickler der Algorithmen für die Realität halten?

Dieses Bild zeigt den Einfluss der Algorithmen bei höheren ISO-Werten. Ältere Kameras zeigen ein deutliches Bildrauschen, das die Bildschärfe beeinträchtigt. Man kann das kompensieren, wenn man die Auflösung des Bildes reduziert. Moderne Kameras zeigen kaum Rauschen und feinste Strukturen, beispielsweise in den Haaren. Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass die Algorithmen die Haare nur bei ausreichenden Kontrasten erkennen und herausarbeiten. Irgendwo kommt dann die Schwelle, wo die Kamera die Strukturen nicht mehr betont, sondern glättet. Die fein herausgearbeiteten Haare münden dann in eine einfarbige Masse, zu der die übrigen Haare verklebt werden. Ähnliche Effekte sind bei Bildern von Rasenflächen oder von Buschwerk zu beobachten.

Die meisten hier beschriebenen Effekte erkennt man zugegebenermaßen vor allem bei höheren ISO-Werten und wenn man die Bilder in 1:1-Ansicht am Monitor betrachtet. Die meisten Hobbyfotografen werden sich kaum daran stören, ich finde es jedoch zumindest irritierend. Und ich stelle fest: Ältere Kameras kommen zwar schneller an ihre Limits, dafür erscheinen mir die Bilder meist „ehrlicher“.

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1 Kommentare

Ralf Jannke

19. März 2017

Früher war also doch alles besser ;-)

Sehr schöner Beitrag!

Geschätzt 99 Prozent aller „Produktfotos“, wie ich die Aufnahmen der für Erfahrungsberichte abgelichteten Kameras nenne, entstehen mit der spiegellosen 20 Megapixel System-Einsteigerkamera (DSLM) Sony Alpha 3000 und dem dazugehörigen und stabilisierten Kitzoom 3,5-5,6/18-55 mm. Diese Kombination glänzt selbst bei der 1:1/100 % Wiedergabekontrolle auf dem Monitor mit wirklich überirdischer Schärfe, wozu sicher das Aufnehmen mit Blende 16 und vom Stativ beiträgt. Aufnahmeformat JPEG.

Dennoch: Diese Schärfe ist „elektronisch“. In meinen Augen aber nicht (zu) unnatürlich. Ganz sicher trägt die eigene, analoge Vergangenheit dazu bei. Um wirklich technisch scharfe Fotos zu bekommen, musste Kodachrome 25/64 oder Fuji 50/100 Diafilm in die SLR gelegt werden. Und Vergrößerungen davon waren erst und nur mit dem AGFA-Digiprintverfahren so wie ich das wünschte. Sämtliche (Automatik-)Abzüge selbst von richtig, mit verwacklungssicheren Verschlusszeiten und abgeblendetem Objektiv belichteten niedrigempfindlichen Farbnegativfilmen waren dagegen flau, unscharf – vergleichsweise MATSCH! Nur selbstverarbeitete und auf einem Kondensor-Vergrößerer hergestellten Abzüge wiesen die gewünschte Schärfe auf.

Was also für eine Wohltat, digitale Fotografie. Und warum nicht? „Meine Leica für Arme: Panasonic Lumix DMC LC5“ produziert auch „überscharfe“ Fotos.

Und die auch von meiner Schwester fleißig mitbenutzte Nikon Bridgekamera Coolpix P510 macht mit ihrem stabilisierten 24-1000 mm Zoom aus der Hand (!) Bilder, die eigentlich gar nicht gehen. Und das auf 30x40 cm DIN A3 Größe gedruckt oder belichtet. Darüber beschweren? Dann tatsächlich lieber „unehrliche Bilder“ als die schlechten Farb-Abzüge der 1980er Jahre... Abgesehen davon: Wen interessiert das von der Smartphone-Generation? Die Bilder verlassen selten bis nie das mobile Telefon. Und gedanklich auf die gute, alte 10x15 cm Postkarte interpoliert, reicht die hochaufgelöste Smartphonewiedergabe vollkommen...

Ralf Jannke