TT Artisan 1,2/50 an Fuji X-E2
In diesem Erfahrungsbericht geht es um die Benutzung von einem etwa 2 Jahre alten lichtstarkem leichtem Teleobjektiv an der Fuji X-E2, einer spiegellosen Systemkamera mit 16 Megapixeln.
TT Artisan ist möglicherweise eine Abspaltung von 7 Artisans, einer Gruppe von 7 Fotoenthusiasten, die sich 2016 zusammenschlossen, um manuelle Objektive zu entwerfen. TT Artisan = The Thinking Artisan („der denkende Kunsthandwerker“) wurde 2019 gegründet.
Beide Unternehmen fertigen ihre Objektive nicht selbst, sondern sie werden bei DJ Optical hergestellt. Dong Jie Optical entstand 2002 und fertigt als Hauptprodukt Glasfaserleitungen und Glasfaser-Optiken. Die Herstellung der manuellen Objektive für fotografische Zwecke ist auf der Firmenwebsite nicht zu finden, eventuell handelt es sich um ein privates Projekt eines der Besitzer, vielleicht ist einer der Verwandten der Inhaber von DJ Optical in 7 Artisans involviert oder möglicherweise hat DJO sich als Risikokapitalgeber in Form der Maschinen zur Produktion beteiligt. Genaues ist mir nicht bekannt, die beteiligten Firmen schweigen sich über die Verflechtungen aus, auch über den Anteil von 7 Artisans bzw. TT Artisan an der Objektiventwicklung und der Festlegung des optischen Designs gibt es keine offiziellen Statements. Anfangs stand auf den 7 Artisan-Objektiven der wahre Hersteller nicht, inzwischen findet sich die Gravur „DJ-Optical“ auf Objektiven beider Marken.
Eigentlich ist ein hochlichtstarkes leichtes Tele gar nicht für meine dokumentarische Art der Fotografie geeignet, in der Vergangenheit habe ich Offenblende nur in Notfällen bzw. für die Anfertigung von Bildbeispielen für meine Lens-Reviews benutzt. Auch die zahlreichen 1,4/50er in meinem Fundus habe ich selten aufgeblendet verwendet.
Aber das 1,2/50mm TT-Artisan ist so günstig, daß ich jetzt zugeschlagen habe. Gebrauchte 1,2 Objektive mit 50/55/58mm Brennweite für Vollformat von Nikon/Canon/Minolta/Leica/Olympus usw. aus den 1970ern bzw. 1980ern kosten zwischen 300 und ca. 1000 Euro, aktuelle Objektive dieser Art von Fuji, Leica, Nikon usw. überschreiten die Schwelle der vierstelligen Preise deutlich. Das 1,2/50mm TT Artisan ist zwar „nur“ für APS-C geeignet und entspricht einem leichten Teleobjektiv von 75 mm; aber es wird neu so günstig angeboten, daß ich im Frühjahr 2023 nicht widerstehen konnte, es zu kaufen. Für lediglich ca. 110 bis 140 Euro (je nach Händler) ein hochlichtstarkes 50er zu fertigen, das kann nur in China funktionieren. Die Testberichte des 2021 erschienenen Objektives auf diversen Webseiten waren durchaus positiv, darum habe ich es erworben.
Blende 1,2 ist großzügig gerundet 1/2 Blende lichtstärker als 1,4 und doppelt so lichtstark wie die üblichen Normalobjektive mit Offenblende 1,8. Inzwischen sind sogar Objektive mit Offenblende 1 oder gar 0,95 erhältlich, diese kosten jedoch auch „Made in China“ weit mehr als das gezeigte Objektiv. Das Zongyi Mitakon 0,95/50 schlägt z. B. aktuell mit etwa 1100 Euro ins Kontor, das Leica M 0,95/50 mit ca. 12.000 Euro und ein 7 Artisan 0,95/35 mit nur ca. 250 Euro.
Das 1,2/50 ist nicht für Vollformat geeignet, auf dem originalen Deckel steht explizit „APS-C“. An der Z5 vignettiert es sowohl abgeblendet als auch bei Offenblende.
Die Seriennummern der frühen Erst-Testmuster des hier vorgestellten Objektivs lauteten alle „85030000X“, mein Exemplar hat „850397xxx“, somit scheinen die ersten vier Stellen eine Kennung des Objektivtyps zu sein und nur die letzten 5 Stellen die Objektivseriennummer anzugeben. Fast 100.000 Exemplare in knapp 2 Jahren ist eine große Menge für solch ein spezielles Objektiv, vermutlich kaufen es viele, weil es so wenig kostet.
Bei Offenblende ist die Schärfentiefe sehr klein, im Nahbereich beträgt sie nur wenige Millimeter. Im Fernbereich steigt sie zwar an, wird aber nicht allzugroß. Leider ist der Drehwinkel des Fokusrings recht klein, trotz Fokuslupe und Kontrastkantenanhebung der Fuji X-E2 habe ich einige fehlfokussierte Bilder gemacht, bei denen die Schärfe nicht auf dem gewünschten Motivdetail lag, sondern davor oder dahinter.
Aufgrund der geringen Schärfentiefe läßt sich das Hauptmotiv sehr gut vor dem meist völlig in der Unschärfe verschwindendem Hintergrund freistellen.
Ein Hinweis: an hellen Sonnentagen ist bei Offenblende viel zu viel Licht für normale Belichtungszeiten vorhanden, die Fuji X-E2 hat einen Verschluss mit kürzester mechanischer Belichtungszeit von 1/4000s. Glücklicherweise läßt sich die Kamera auf einen kombinierten mechanischen und elektronischen Verschluss umschalten, dann nutzt die X-E2 bei Zeiten zwischen 1/4000 und 1/32000 Sekunde die rein elektronische Sensorauslesung und nicht mehr den mechanischen Verschluss. Das reicht in den meisten Fällen, um Überbelichtungen bei Offenblende zu vermeiden. Bei Kameras, die diese Funktion nicht haben, muß ein ND-Filter zum Abschwächen des Lichtes vor das Objektiv geschraubt werden.
Die Objektiv-Verpackung ist liebevoll gestaltet, in einer stabilen Pappbox ist das eigentliche Objektiv in Schaumstoff gut geschützt. Die Objektivbezeichnung und eine Seitenansicht sind auf der Oberseite eingeprägt. Das Objektivbajonett wird durch eine Aufkleber unterschieden, die genaue Typenbezeichnung und die Seriennummer mit einem weiteren.
Das Objektiv wurde ab 2020 gebaut, ab Frühjahr 2021 war es käuflich erhältlich. Sein optischer Aufbau ähnelt einem Zeiss Sonnar, es hat 7 Elemente in 4 Gruppen.
Das Objektiv ist bis zur Bajonettauflage 55 mm lang, hat einen Durchmesser von 62 mm und wiegt 335 Gramm. Da das Objektiv mit unterschiedlichen Bajonettanschlüssen (Fuji X, mFT, Sony E, Nikon Z usw.) verkauft wird, ist der Bajonettring vom eigentlichen Objektiv unabhängig. Die Trennstelle ist deutlich sichtbar, das kameraspezifische Teil ist silbern, das restliche Objektiv schwarz. Möglicherweise ist der Bajonettring für alle TT-Artisan-Objektive gleich, eventuell ist er je nach Grundobjektiv unterschiedlich. Es wurden keine der sonst üblichen winzigen Kreuzschlitzschrauben verwendet, sondern die aus dem Handybereich her bekannten Mini-Torx-Schrauben, die sich mit geeignetem Werkzeug wesentlich besser montieren lassen.
Das Objektiv ist vollständig aus Metall gefertigt. Der originale Frontdeckel wird eingeschraubt, was zwar herrlich „Retro“ ist, aber leider auch ziemlich umständlich. Die seperat zu erwerbende originale Streulichtblende wird in das nicht mitdrehende Filtergewinde 52mm eingeschraubt. Auch die Blende ist ein Metallteil; weil in ihr der Schraubdeckel nicht passt, hat der Hersteller einen Kunststoff-Snap-In-Deckel beigelegt.
Der Blendenring rastet in halben Blendenstufen, Zwischenwerte sind möglich. Es sind 10 abgerundete Lamellen vorhanden, die ein gutes Bokeh ermöglichen. Der Ring hat zwei seitliche „Knubbel“, mit denen er gut eingestellt werden kann, die Rastung ist perfekt.
Die Einstellschnecke hat die ideale Friktion, der Einstellring geht weder zu stramm noch zu leicht. Leider ist der Drehwinkel von Unendlich bis zur Nahgrenze 0,5m zu klein, mit nur ca. 120° kann bei Offenblende nur schwer scharfgestellt werden. Es wäre besser gewesen, den Einstellwinkel auf fast 360° zu konstruieren, dann wäre die Einstellpräzision fast dreimal so hoch gewesen.
Alle Aufnahmen entstanden freihand bei Arbeitsblende 8 bzw. Ogffenblende 1,2 und Zeit- sowie ASA-Automatik, gespeichert wurde als RAF, gewandelt mit Adobe Camera RAW und bearbeitet mit Photoshop CS6. Bildausschnitt, Helligkeit, Farben sowie Lichter / Schatten wurden korrigiert, die Größe wurde auf 1500 Pixel bikubisch verkleinert. In alle Aufnahmen sind 100%-Ausschnitte einmontiert.
Das Objektiv liefert wie zu erwarten bei Offenblende an den Bildecken keine gute Schärfeleistung, außerdem überstrahlt es aufgrund des Sonnar-Designs recht deutlich. Die Vignettierung ist ebenfalls klar erkennbar. Chromatische Aberrationen sind ebenfalls klar erkennbar. Auf 5,6-8 abgeblendet verschwinden die Aberrationen fast vollständig, die Überstrahlung sinkt ebenfalls.
Für ein 50er, das an APS-C ein leichtes Teleobjektiv ist, verzeichnet das TT Artisan recht viel. Jedoch ist die Grad der Verzeichnung noch so gering, daß er bei den meisten Motiven nicht stören wird.
Mein Exemplar hat eine fehlerhafte Unendlich-Einstellung, ich kann weit über den maximalen Fernpunkt fokussieren, weit entfernte Motive werden bei Skalenanzeige von ca. 10 Metern scharf abgebildet. Somit ist für jede Aufnahme, auch bei Arbeitsblende 8, zu fokussieren, da das Objektiv am Unendlichkeitsanschlag unscharfe ferne Motive abbildet. Vermutlich kommt dieser Fehler durch den angeschraubten Adapter für das Fuji-X-Bajonett, dieser ist ca. 0,1mm zu dünn. Leider habe ich keinen passenden Schlüssel mit dem Mini-Torx im Bestand, dann hätte ich das Differenzmaß durch Unterlegen von Präziblechen aus dem Werkzeugbau ausgeglichen.
Allerdings ist dieser Fehler nicht so tragisch, die meisten Motive mit Offenblende entstehen im Nahbereich und nicht bei Unendlich, somit ist der Zwang zum Fokussieren kein gravierender Nachteil. Und wie erwähnt: man bedenke den Objektivpreis!
Die UVP des Herstellers ist mir nicht bekannt, aber das TT Artisan 1,2/50 kostet je nach Händler zwischen ca. 110 bis 140 Euro.
Fazit
Trotz der kleinen Fehler ist das TT Artisan 1,2/50 sein Geld mehr als wert. Ca. 2 Blendenstufen „mehr Licht“ und weniger Schärfentiefe als die unzähligen 1,8/50er in meinem Bestand werde ich es nutzen, wenn ich gezielt durch Hintergrundunschärfe freistellen möchte.
Als „normales“ 50mm-Objektiv bei Arbeitsblende 8 werde ich es jedoch nicht verwenden, da habe ich etliche 1,8/50er im Bestand, die leichter sind und sich dank längerem Verstellweg des Fokusrings besser scharfstellen lassen.
Christian Zahn
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Autor: | Christian Zahn |
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Erstellt: | 8.05.2023 |
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