Canon Powershot Pro 70

Diese 1998 vorgestellte „Fehlzüchtung“ aus analoger Semiprofi-Canon EOS und aufgepfropfter Konservendose im Titan-Look ist ein Ausbund an Hässlichkeit. Und doch war sie mal (m)eine Traumkamera, weil sie das Prädikat „Pro“ in der Kamerabezeichnung trägt.

Denn ein vergleichbar superlichtstarkes 2,0-2,4/28-70 mm (umgerechnet auf Kleinbild) Zoom bot lange Zeit niemand. Ganz „profilike“ fehlt der Pro70 der gehäuseinterne Miniblitz. Die Kamera hat den Blitzschuh für Canon Systemblitze. Aber ausschließlich für diese! Da ich einen solchen nicht (mehr) besitze, wurde nur fürs Demo-Foto der gute, alte Metz 32CT3 montiert. Der von der Pro70 unverständlicherweise nicht gezündet wird :-(

Aus dem „Pro-fessionell“ in der Kamerabezeichnung wird dann aber schnell nur ein „Pro-sumer“, eine Konsumer-Kamera mit ein paar professionellen Details. Denn die fehlende ISO-Einstellmöglichkeit ist einfach unprofessionell. Bei voller Auflösung von 1536x1024 = 1,5 MP wählt die Powershot Pro70 ISO 100. Nur beim Wechsel auf 768x512 Pixel steigt die Empfindlichkeit auf ISO 200, um in dieser Auflösung bei wenig Licht ohne Kontrolle des Fotografen automatisch auf ISO 400 verstärkt zu werden. Auch die hohe Bildfrequenz von 4 B/s wird nur in der niedrigen Auflösung erreicht. Und deren Angabe – VIER Bilder pro Sekunde – erweisen sich als sehr optimistisch: Gehört, gefühlt sind das eher 2 B/s... 768x512 Pixel ermöglichen bei 150 ppi Fotobelichter-/Druckauflösung immerhin noch ein 9x13 Bildchen. Und mit etwas Wohlwollen einen Zweispalter in der Tageszeitung... Zumindest das mit der ISO-Einstellung hätte man schon 1998 besser machen können, MÜSSEN!

Einzige Chance bei voller Auflösung etwas Empfindlichkeit „rauszukitzeln“, ist Wechsel ins ungeliebte Rohformat, die Aufnahmen um -1 EV (= ISO 200) zu belichten und die Unterbelichtung mit den Reserven der 30 bit Farbtiefe-Rohdaten auszugleichen.

Was bietet die Pro70 noch?

Einen für schwierige Motive oder spezielle Perspektiven linksseitig angeschlagenen, dreh- und schwenkbaren Monitor, über den auch die Menüeinstellungen vorgenommen werden müssen. Schon 1998 war es so möglich eins der dämlichen Selbstporträts zu erzeugen. Da wusste aber noch niemand, was ein „Selfie“ ist ;-)

Die Möglichkeit, die Daten im Rohformat aufzuzeichnen, wurde schon erwähnt. Die CRW-Files werden problemlos von Adobe RAW und Lightroom gelesen. Es ist bei dieser Kamera eine gute Idee, die Fotos ausschließlich im Rohdatenformat zu speichern. Denn die von der Pro70 erzeugten JPEG-Dateien liegen in der besten Einstellung bei einem JPEG-Komprimierungsverhältnis von 13:1 und stärker, was sicher den damaligen Compactflash-Speicherkarten Preisen geschuldet war. Sehr gut/gut sind 4:1 und 8:1!

Die Pro70 bietet 2 Compactflashkarten-Einschübe („Slots“), was die Verwendung des damals gerade eingeführten, bauartbedingt aber höheren 340 MB IBM Microdrives ermöglicht. Eine noch im Bestand gefundene 512 MB CF wird gelesen, die 2 GB-CF ist nicht benutzbar. Rund 255 Fotos im Rohformat passen auf die 512 MB CF. Statt die P-Automatik werkeln zu lassen, kann der Fotograf auch per Menü die Blende vorwählen, was nichts anderes als eine etwas „versteckte“ Zeitautomatik ist. Die den Vorteil hat, bei wenig Licht nicht etwa abzublenden, weil die P-Automatik das so „meint“, sondern stattdessen die schnellst mögliche Verschlusszeit zu bilden.

Wer noch mehr zur Pro 70 lesen will, findet hier eine ausführliche englische Beschreibung und Testaufnahmen. Und bei mir in solchen Fällen älterer Kameras als erstes gesucht: die (englische)  Bedienungsanleitung zur Canon Powershot Pro 70.

Hier ein paar Originalfotos, aufgenommen im Februar 2015 beim Rundgang mit der Canon Powershot Pro70 durchs paläontologische Bonner Goldfuß-Museum, das Fossilien aus der ganzen Welt zeigt. Neben versteinerten Meerestieren und Pflanzen kommen auch die (Dino)Saurier nicht zu kurz.

1,5 MP werden von jedem Smartphone locker überboten, aber von der technischen Bildqualität kann die 17 Jahre alte Powershot Pro70 noch heute mithalten, wenn man das Canon-Rohdatenformat ausreizt!

Ob das jetzt nur an diesem Exemplar der Pro70 liegt, bestand eine gewisse Moiré-Neigung, wenn Sie den Vergleich im Lightroom-Screenshot betrachten. Als chromatische Aberration mit seinen typischen Farbsäumen betrachte ich das nicht. Aber selbst das lässt sich mit Lightroom reduzieren/entfernen. Bei voller Auflösung ist eine 20x30 cm, A4-Papier-Ausgabe mit 120 ppi möglich. Deshalb darf diese Museumskamera gelegentlich mit an die frische Luft ;-)

Ralf Jannke

Kommentare (2)

  • Stefan Weiss
    Stefan Weiss
    am 14.12.2017
    Oh ja, diese Kamera wollte ich damals auch unbedingt haben und hatte mir diese zugelegt.
    Das tolle Teil ist immer noch mit Akkus und Original-Verpackung etc. in meinem Besitz. Auch
    die erwähnte IBM-Festplatte habe ich noch - da werden Erinnerungen wach ...

    :-)

    VG Stefan
  • Mucha Klaus
    Mucha Klaus
    am 22.10.2018
    Bitte wo bekomme ich eine komplette Bedienungsanleitung her

    mfg mucha

    Lieber Herr Mucha

    Der Link zur englischen Bedienungsanleitung ist im Text. Wenn Sie eine deutsche Bedienungsanleitung suchen, muss ich Sie enttäuschen. Ich habe nie eine (PDF-Download) gefunden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ralf Jannke

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