Ist "Testeritis" digital? Nein, sie grassiert seit den 1950er Jahren…

Nachdem die Geschichte der Digitalkamera hier im virtuellen Digitlkameramuseum so gut wie abgearbeitet ist, wende ich mich gerne alten Objektiven zu. Adaptiert auf spiegellose Systemkameras berkommen die alten Objektive ein neues Leben! An Objektiven wurden schon zig Linsen adaptiert. Neu sind Objektive, die aus der Welt der so genannten Messsucherkamera kommen. Am bekanntesten dürfte die deutsche Leica sein. Objektive dieses Herstellers werden Sie hier allerdings umsonst suchen. Durch ihren Sammelstatus ist mir die Mehrzahl selbst (ur)alter Leica Messsucher-Objektive einfach zu teuer. Was natürlich jeder für sich entscheiden muss.

Anders sieht es aus, wenn man sich mit russischen und anderen Nachbauten deutscher Objektive anfreundet! Die nicht notgedungen schlecht sein müssen! So gab es hier bereits das von mir als "Leitz Elmar" bezeichnete 3,5/5 cm Industar 22, das wirklich Spaß macht. In Vorbereitung ist ein weiteres Objektiv russischer Fertigung, der Sonnar-Nachbau 2/50 mm Jupiter 8. Es kam mit einer zerstörten (russischen) Zorki 4 Messucherkamera in die Sammlung. Oben ganz rechts in der Objektiv-/Kamera-Anordnung. Die einer von mir leicht modifizierten Nikon-Anzeige aus den 1950er Jahren nachempfunden wurde. In der Nikon-Anzeige habe ich das 8,5 cm entfernt, was als Original-RF-Nikkor und selbst als russischer Nachbau zum Spiegel zu teuer ist.

Ein "Star" ist aber auf dem nachgestellten Foto wie im Original gezeigt, das NIKKOR-QC 1:3.5 f=13,5 cm Nippon Kogaku. Die im Foto abgebildete, leicht unkenntlich gemachte und mit einem Revolver-Aufstecksucher und "Durchsichtsucher" verzierte "Messsucherkamea" dürften Eingeweihte schnell identifiziert haben ;-) Einen Ersteindruck des 13,5 cm Nikkors gibt es hier.

Dieses Original-Messsucher-/Rangefinder- (RF) Nikkor war der Grund, mal wieder in die Nikon-Legende zu schauen, die mit dem Koreakrieg (1950-1953) verbunden ist. Und dazu die Reaktionen deutscher Objektivhersteller auf "japanisches Glas", Objektive aus japanischer Produktion.

Nikon Legendenbildung vom Flohmarkt

Die für Nikons Legendenbildung wichtige Märzausgabe der amerikanischen „POPULAR PHOTOGRAPHY“ aus dem Jahr 1951 enhielt das Thema „Fotos aus dem Koreakrieg". Aufgenommen hatte sie David Douglas Duncan. Der bestückte seine M39 Schraub-Leicas auch mit Nikon Objektiven.

>> Obwohl im Zweiten Weltkrieg die meisten seiner Bilder mit der Rolleiflex entstanden, nahm Duncan zwei 3C Leicas, die mit Tewe Polyfocus Suchern ausgestattet waren, an die koreanische Kampffront. Um den Hals gehängt, fand er diese Kameras praktischer, um die Kämpfe zu fotografieren. Sie waren leicht, kompakt und konnten Stöße aushalten. Die Leicas funktionierten auch unter widrigen Bedingungen von Regen, Schlamm und Sand. Und überstanden die Misshandlungen, und wenn es bei Gewehrfeuer notwendig war, blitzschnell in Deckung zu gehen.

Seltsamerweise benutzte Duncan mit Ausnahme eines Summaron Weitwinkels keine Leitz-Objektive. Er fotografierte mit den japanischen Nikon (Nikkor) Objektiven 1,5/50 mm, 2/85 mm und 3,5/135. Sie wurden ihm von Horace Bristol in Tokio empfohlen und Tests zeigten ihr überlegenes Auflösungsvermögen. In den New Yorker Laboren der LIFE erwiesen sich die Negative laut Frank Scherschel, stellvertretender LIFEBildredakteur, als die schärfsten, die je vom 35 mm Kleinbildfilm verarbeitet wurden. Die Nikkor-Objektive wurden für Nikon-(Messsucher)Kameras gebaut, die Nippon-Version der deutschen Contax mit einem Leica-Verschlusstyp. Sie werden von der Japan Optical Co. Ltd. produziert, die laut Duncan 1700 Menschen beschäftigt und 400 Kameras pro Monat herstellt. <<

Soweit der Text aus der Popular Photography

David Douglas Duncans Erfahrungen inspirierten das schwedische Fotomagazin "foto" von 1953

„LIFE Fotografen in Korea vertrauen auf Nikon“

Das gefiel der deutschen Fotoindustrie gar nicht. Fachmagazin der 1950er Jahre berichteten nicht darüber, und für japanische Erzeugnisse wurde nicht geworben. Stattdessen berichtete ein  Magazin über den Besuch einiger japanischer Fachleute, die ihre Objektive von einem renommierten deutschen Institut testen lassen wollten:

Da klang: “Eine Sensation - sagen Amerikas führende Pressefotografen” wirklich etwas anders

Neben den reinen Werbeaussagen konnte man das aber auch in den 1950er Jahren schon seriöser und objektiver vergleichen

In der schwedischen FOTO vom September 1953 wurde versucht, ein etwas differenzierteres Bild der Leitz-, Nikon- und Zeiss-Objektive zu zeichnen! OK, Schweden produzierte keine hochwertigen und teuren Messsucherkameras samt Objektiven wie die Leica oder Contax.

Die Abbildung oben (1) zeigt den von Lennart Dahlmark 1953 gewählten Testaufbau, besser die gedruckte Vergrößerung des Negativs, aufgenommen mit der Kombination Contax II #Q65172 mit dem Sonnar 1:2 f 5 cm T Zeiss Opton 584554 bei Blende 8. Auf die gleiche Weise testete Dahlmark die gelisteten Objektive. Was die etwas seltsam anmutenden Testtafeln angeht, hat sich bis heute aber kaum etwas geändert. Mit Hilfe von Google lässt sich unter den Stichworten Testtafel, Testschart genug finden. Da flimmert es einem vor den Augen... Zurück zum schwedischen Artikel.

  • Bild 3: Sonnar 1:2 f 5 cm bei Offenblende 2; Auflösungsvermögen von der Bildmitte entlang der 4 (Halb-)Diagonalen bis in die Negativecken (siehe Abbildung 1)
  • Bild 4: Sonnar 1:2 5 cm bei Blende 2, Blende 4 und Blende 8 (vermutlich Durchschnittswerte aus mehreren Messungen)
  • Abbildung 2a, 2b, 2c, 2d Sonnar 1:2 f 5 cm bei Blende 2, 4 und 8 2a Zentrum (Bildmitte) Blende 2; 2b schlechteste Auflösung bei Blende 2 (kleiner Kreis in Bild 3); 2c Zentrum (Bildmitte) Blende 8; 2d schlechteste Auflösung bei Blende 8 25-fache Vergrößerung des Testnegativs.
  • Bild 5 und 6 Leica (Leitz) Summitar 1:2 f 5 cm
  • Leica (Leitz) Summicron 1:2 f 5 cm
  • (Voigtländer?) Ultron 1:2 f 5 cm
  • Carl Zeiss Biotar 1:2 f 5,8 cm
  • Objektiv? (Möglicherweise ein Meyer Görlitz Primoplan) 1:1,9 f 5,8 cm (*)
  • Bild 7 Offenblende, Bild 8 Blende 8
  • Carl Zeiss Sonnar 1:2 f 5 cm
  • Nippon Kogaku (Nikon) Nikkor-H 1:2 f 5 cm
  • Bild 9 Offenblende, Bild 10 Blende 8
  • Carl Zeiss Sonnar 1:1,5 f 5 cm
  • Nippon Kogaku (Nikon) Nikkor-S 1:1,4 f 5 cm
  • Leica (Leitz) Summarit 1:1,5 f 5 cm

Eine Bemerkung zum „Stern“ (*): Möglicherweise ist damit Lennart Dahlmarks Bemerkung erklärt: >> Der Wert der am tiefsten verlaufenden Kurve ist in der Bildmitte nicht so schlecht, aber die Schärfe der Ecken erreicht nur 7 Linien pro mm. Diese Unschärfe ist bereits auf einem Kontaktabzug sichtbar! Bemerkenswert ist, dass die Kurve für Blende 8 nicht nennenswert besser ist. Der Hersteller hat sich bemüht, ein preiswertes lichtstarkes Objektiv zu produzieren. (...). <<

Und wer gewinnt?

Was den Vergleich Carl Zeiss Sonnar 1:2 f 5 cm gegen das Nippon Kogaku (Nikon) Nikkor-H 1:2 f 5 cm in Bild 7 und 8 angeht, kann man sicher behaupten: Gleichstand! Wenn ich Bild 9 und 10 nur in Bezug auf Bildmitte und Bildrand anschaue, liegen bei Offenblende das Leica (Leitz) Summarit 1:1,5 f 5 cm und das Nippon Kogaku (Nikon) Nikkor-S 1:1,4 f 5 cm in der Bildmitte mit gut 10 Punkten deutlich über dem Carl Zeiss Sonnar 1:1,5 f 5 cm. Mit einem kleinen Vorteil fürs Nikkor in Bildmitte und -rand bei Offenblende. Sagen wir aber aufgrund der (Genauigkeit der) Messmethode: Gleichstand zwischen Leica und Nikon bei Offenblende. Abgeblendet auf f/8 verliert das Carl Zeiss Sonnar 1:1,5 f 5 cm noch deutlicher! Was die reine Bildmitte und den äußersten Bildrand angeht, ist das Nippon Kogaku (Nikon) Nikkor-S 1:1,4 f 5 cm mit gut 10 Punkten bei f/8 klarer Sieger vor dem Leica (Leitz) Summarit 1:1,5 f 5 cm. Lediglich bei 6 bis 14 Grad Bildwinkel liegt das Summarit 1:1,5 f 5 cm leicht vor dem Nikkor-S 1:1,4 f 5 cm.

Erbsenzählerei?

Oder tatsächlich die Bestätigung der Erfahrung der New Yorker LIFE-Labore, wo sich die Nikon-Objektiv Negative angeblich als die schärfsten erwiesen, die je vom 35 mm Kleinbildfilm verarbeitet wurden. Es ist auch nicht völlig auszuschließen, dass David Douglas Duncan damals in Japan handverlesene Nikon-Objektive bekam. Der schwedische Test liest sich jedenfalls seriöser, als die unsachlich hämische Einschätzung des deutschen Fachmagazins!

Ob die schwedische Testerei jetzt so viel besser ist als „Willi Knipsers“ abfotografierte Tageszeitungsseite in Analogzeiten, mag dahingestellt sein. Ich traue dem schwedischen Autor aber trotz eines offensichtlichen Fehlers – vergleichen Sie die unterschiedlichen Auflösungswerte fürs Carl Zeiss 1:2 f 5 cm Sonnar in Bild 4 und Bild 8 (vielleicht 2 Exemplare) - so viel Akribie zu, dass er vor 60 Jahren Unterschiede erkennen und diese auch neutral dokumentieren wollte. Außerdem besteht noch ein Unterschied zum von Duncan verwendeten 5 cm Objektiv. Er fotografierte mit der nur in geringer Stückzahl (800) ab 1949 gefertigten 39 mm Leica-Schraubanschluss Nikkor mit Lichtstärke f/1,5. Lennart Dahlmark testete das um eine Winzigkeit lichtstärkere, aber viel modernere 1,4/5 cm Nikkor, von dem ab 1950 ca. 8000 Exemplare produziert wurden.

Eins hat sich aber von damals bis heute in den vergangenen bald 70 Jahren nicht geändert

Hauptsache, die Linien pro Millimeter, die digitale Auflösung stimmt. Ob das Foto irgendeine Aussage hat? Wen kümmert’s …

Ralf Jannke, Dezember 2020

 

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