Hier zeige ich ein Feature-Phone, an das eine Kamera angedockt werden kann. Sie hat nur Fixfokus und eine aus heutiger Sicht bescheidene Bildqualität.
Spezifikationen
- Das 2002 vorgestellte Siemens S55 ist 101 x 46 x 19 mm groß und wiegt 85 g. Das Kameramodul ist 60 x 43 x 19mm groß und wiegt 33 Gramm.
- Der Sensor unbekannter Größe löst maximal 640 x 480 Pixel = 0,3 Megapixel auf. Die Empfindlichkeit ist unbekannt. Videos sind nicht möglich. Bilder werden als JPEG im internen Flash-Speicher abgelegt.
- Das Objektiv ist eine Festbrennweite unbekannter Brennweite
- Das Motiv wird über einen 1,5“ Monitor mit 8080 Subpixeln (101x80 Farbtripel) ausgewählt
- Fixfokus, Festblende
- Belichtungssteuerung durch Zeitautomatik mit ISO-Automatik, Belichtungszeiten unbekannt, Selbstauslöser mit ca. 10 sek. Vorlaufzeit
- eingebauter echter Blitz, Leitzahl ca. 10
- Weißabgleich automatisch
- keine Bildstabilisierung
- Energieversorgung durch wechselbaren Lithium-Akku (für Handy und Kameramodul gemeinsam)
Besonderheiten
Siemens ist ein bereits 1847 durch Werner von Siemens gegründeter Misch-Konzern, der seit 1985 auch Mobiltelefone herstellte. 1992 wurde ein 2 kg schweres „tragbares“ Telefon für das damals neue D-Netz vorgestellt. 1999 erschien mit dem SL10 das erste „Slider“-Handy der Welt, dessen zwei Teile zum Telefonieren auseinandergezogen wurden und das bei Nichtbenutzung platzsparend zusammengeschoben wurde. Im Jahre 2000 übernahm Siemens Mobility die Mobilfunksparte der Robert Bosch AG, trotzdem fiel der Marktanteil der in Deutschland entwickelten und im Siemens-Werk Kamp-Lintfort hergestellten Siemens-Mobiltelefone. 2005 verkaufte die Siemens AG die Mobilfunksparte an das taiwanesische Unternehmen BenQ, 2006 ging die deutsche BenQ Mobile in Insolvenz, die Produktion von Handys „Made in Germany“ endete.
Das vorgestellte Feature-Phone gehörte 2002 in die Spitzenklasse der Mobil-Telefone, es kann nicht nur telefonieren und SMS versenden, sondern auch MMS und EMS, per WAP im Internet surfen und eMails verschicken und empfangen. Außerdem enthält es einen Organizer und eine Sprachaufnahme-Funktion. Die 16stimmig polyphonen Klingeltöne waren 2002 ebenfalls etwas besonderes, üblich waren maximal 4 Stimmen. Neben MIDI-Songs können auch Audiodateien als Klingelton benutzt werden.
Das Display ist mehrfarbig, es kann 256 verschiedene Farben anzeigen, beim Einschalten, Ausschalten und als Bildschirmhintergrund können eigene GIF-Animationen verwendet werden. All das „lockt heute keinen Hund hinterm Ofen hervor“, aber 2002 waren diese Features in einem kleinen Mobiltelefon neu und etwas Besonderes. Zur Erinnerung: das erste iPhone erschien erst 5 Jahre nach dem S55!
Das Betriebssystem ist eine spezielle Siemens-Java-Version, mit Hilfe eines Computers lassen sich Spiele und Anwendungen auf das Telefon laden und unterwegs ausführen. Über die Schnittstelle kann ein Siemens-Headset, eine Autohalterung mit eigener Funkantenne oder ein Computer angeschlossen werden. Der damals recht neue Funkstandard Bluetooth kann ebenfalls zum Koppeln mit Computern und Geräten verwendet werden, zum Ansteuern von Druckern steht eine Infrarotschnittstelle nach IrDa-Norm bereit.
Per GPRS kann das S55 im Internet surfen, damals geschah das meist über spezielle „WAP“-Portale, die Webseiten für den winzigen Bildschirm aufbereiteten. Heutzutage ist das Surfen im Internet nicht mehr möglich, da das S55 keine der heutigen Verschlüsselungsprotokolle beherrscht, somit keine Webseiten angezeigt werden können. Die Kontaktaufnahme mit eMail-Servern scheitert auch aus diesem Grund. Lediglich SMS-Textnachrichten kann das S55 heutzutage noch senden sowie empfangen und im GSM-Netz telefonieren.
Zur Fotoaufnahme wird eine vorinstallierte „App“ gestartet, sobald das Kameramodul in die Multifunktionsbuchse des Telefons eingesteckt wird. Die Stromversorgung erfolgt durch den Handyakku, die Übertragung zwischen Modul und S55 erfolgt per serieller Schnittstelle, da das Telefon kein USB kennt. Liveview ist nicht möglich, statt dessen ist im Kameramodul ein Durchsichtsucher eingebaut, der den aufgenommenen Bildausschnitt erahnen läßt, insbesondere im Nahbereich weicht das Bild von gesehenen Ausschnitt stark ab.
Aufgrund der festen Fokussierung ist die Aufnahme von nahem Objekten nicht sinnvoll möglich, sie werden trotz winzigem Sensor und kleiner Brennweite nur unscharf abgebildet. Als Auslöser dienen verschiedenen Tasten des Handys.
Es ist ein richtiger Blitz eingebaut, den man im Kameramenu einschalten muß, nach jedem Starten der Kamerafunktion ist er abgeschaltet. Eine Regelung scheint nicht zu existieren, der Blitz „feuert“ anscheinend immer seine gesamte Leistung ab, was im Nahbereich zu „totgeblitzten“ Bildern führt.
Das Display ist aus heutiger Sicht schlecht. Mit lediglich 101x80 Pixeln ist es enorm grobpixlig und unscharf, weil nur 256 Farben möglich sind, stimmen die Farben meist nicht mit der Aufnahme überein.
Das Objektiv hat keine Blende, es wird immer mit der Offenblende aufgenommen. Ein mechanischer Verschluss ist ebenfalls nicht vorhanden, die Verschlußzeiten werden rein elektronisch gebildet, „Rolling-Shutter“-Effekte sind leider die Folge. Die Kamerasteuerung nutzt als Belichtungssteuerung eine Kombination aus Zeit- und ISO-Automatik. Die Aufnahmeparameter verrät das Handy nicht, EXIFs gibt es keine.
Die Aufnahmeverzögerung nach Drücken der Aufnahmetaste ist recht lang, das Übertragen des Bildes zum Handy und das Abspeichern dauert ebenfalls sehr lang. Nach der Aufnahme zeigt das S55 das Bild an, es kann dann sofort gelöscht oder gespeichert werden. Die Bildkomprimierung erfolgt möglicherweise im Telefon und nicht im Kameramodul.
Die Bildspeicherung erfolgt im internen Flashspeicher. Dieser ist 1 MB groß, aber die Handyfirmware und alle Daten wie SMS, MMS, installierte Spiele, Java-Programme usw. werden ebenfalls in diesem Speicher abgelegt. Beim Starten der Kamerafunktion wird deshalb die mögliche Anzahl der Aufnahmen angezeigt, jedes Bild ist etwa 35 KB groß, wobei gleichzeitig eine Aufnahme mit 640x480 Pixeln und eine zweite mit 120x80 Pixeln angefertigt wird. Letztere ist diejenige, die das Telefon anzeigt.
Die Bilder können per serieller Schnittstelle aus dem Telefon herausgezogen werden, dazu ist aber historische Rechentechnik nötig, da das Siemens-Programm nur auf Windows-Systemen läuft, die eine echte serielle Schnittstelle haben und 16-Bit-Programme ausführen können. Das Koppeln per Bluetooth funktioniert heutzutage nicht mit jedem Computer bzw. Handys, keines meiner iPhones konnte Kontakt mit dem S55 aufnehmen, ein iMac mit MacOS 10.11 ermöglichte es mir, die Bilder auszulesen. Unter Windows 11 22H2 ist es mir nicht geglückt, Daten vom S55 zu übertragen, obwohl die eigentliche Koppelung geklappt hatte.
Der Akku ist speziell, er ist in einigen anderen Siemens-Telefonen der damaligen Zeit verwendet worden, geladen wird er wie üblich im Handy selbst. 2023 sind noch neue Nachbauten erhältlich. Im Gegensatz zu heutigen Smartphones, die nach einem Tag Benutzung geladen werden müssen, hält das S55 geradezu enorm lange: Standby-Zeiten von 300 Stunden (also mehr als eine Woche) und Sprechzeiten von 360 Minuten (6 Stunden) kommen uns fast unglaublich vor, aber diese Werte gelten nur im Idealfall und mit abgeschalteten „Nebenverbrauchern“ wie Bluetooth usw.
Die UVP des Siemens S55 betrug 379 Euro ohne Vertrag. Im Jahr 2023 war der Zeitwert (ohne Kamera) unter 10 Euro gefallen, mit OVP und Kameramodul unter 20 Euro. Ich erhielt das gezeigte Exemplar Anfang 2023 vom Editor dieses Textes geschenkt.
Alle Aufnahmen entstanden bei Vollautomatik, gespeichert als JPEG in bester Qualität (maximale Größe). Die Größe ist unverändert. Schärfe, Verzeichnung, Vignettierung, Gradationskurve usw. wurde nicht korrigiert, es sind also fast unveränderte Bilder „Out of the Cam“. Belichtungs-Angaben sind nicht eingebettet, da das Handy diese Angaben nicht preisgibt.
Qualitäts- und sonstiger Eindruck
Das Gehäuse des S55 ist vollständig aus Kunststoff gefertigt, es ist für seine „Größe“ überraschend leicht. Metallisch schimmernde teile sind lediglich lackierter Kunststoff. Neben dem gezeigtem Blau-Silber gab es noch andere Farben. Beim gezeigten Exemplar ist die Abdeckung über dem Lautsprecher verloren gegangen, eigentlich befindet sich dort eine silberfarbene Blende.
Das Kameramodul gehört zur Klasse der sehr frühen Mobiltelefon-Bildaufnahmegeräte, seine Auflösung von 0.3 Megapixeln ist heutzutage extrem klein. Es scheint sich um eine Aufnahmeeinheit aus einer Webcam zu handeln, die Bilder sind matschig, unscharf und der Kontrastumfang ist schlecht, Schatten „saufen ab“, helle Stellen „brennen aus“. Das eigentliche Objektiv ist durch ein „Hot-Mirror-Filter“ abgedeckt, dadurch werden Infrarot-Strahlen abgehalten. Im Blitzlicht meiner Aufnahmen schimmert dieser dichroitische Filter hellrot.
Die Verzeichnung ist gering, allerdings war es schwierig, das Blatt sensorfüllend abzubilden, da im Sucher keine Parallaxmarken vorhanden sind und es kein Liveview gibt.
Zum Herstellzeitpunkt gab es bereits längst Digitalkameras mit 4 Megapixeln, mit diesen konnte jedoch nicht telefoniert werden. Für ein schnelles „ich zeig Dir mal ein Bild“ hat es damals gereicht, auch fürs Internet waren damals kaum größere Bilder nötig.
Fazit: ein digitalkamerahistorisch unwichtiges Featurephone und zum ernsthaften Bildermachen völlig ungeeignet. Die Aufnahmen taugen nicht einmal zur Dokumentation irgendwelcher Vorfälle, als Beweis eines Unfallschadens z. B. sind sie unbrauchbar. Die in Aufnahmen heutiger Smartphones eingebetteten kleineren Vorschaubilder haben eine bessere Qualität als die Aufnahmen des S55.
Christian Zahn
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Autor: | Christian Zahn |
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Erstellt: | 5.04.2023 |
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