11/35 mm LOREO LENS IN A CAP PC Shiftobjektiv

Warum sitzt das Objektiv so schief?

Das gehört so, denn dieses 35 mm Objektiv lässt sich mit den Strichen markiert horizontal/vertikal verschieben. Wozu soll das gut sein?

Stürzende Linien

Mit dem 3,5/35 mm PC Nikkor stellt Nikon 1962 das erste in sich verschiebbare P(erspective)C(ontrol) Objektiv fürs Kleinbildformat vor. 

Um ein Gebäude formatfüllend aufs Bild zu bekommen, muss das Objektiv zusammen mit der Kamera etwas nach hinten geneigt werden. Ergebnis ist ein tatsächlich formatfüllendes Foto des Gebäudes, dessen äußere, senkrechte Linien aber nicht mehr senkrecht stehen, sondern sich in Richtung der Bildmitte neigen. Wie oben in der simplen Skizze gezeigt. Die so genannten "stürzenden Linien". Kippe ich die Kamera wieder zurück in die Senkrechte, sind die parallelen Gebäudelinien/-kanten wieder parallel, aber ich habe unerwünschten Vordergrund, und die Oberseite des Gebäudes, das Dach fehlt...

Könnte ich das zu fotografierende Gebäude aus einem vom Abstand passenden Gebäude genau gegenüber ungefähr aus der ersten Etage ablichten, wäre alles drauf ohne die stürzenden Linien.

Aber was tun, wenn es kein genau gegenüberliegendes Gebäude gibt? Hier kommt das oben genannte PC-Objektiv ins Spiel. Bei diesem Objektiv kann der vordere Teil, der die Linsen enthält, parallel zum rückwärtigen Teil mit dem Bajonettanschluss über einen gewissen Betrag nach oben, unten, links und rechts verschoben werden. Was am PC-Objektiv nur Milimeter sind, sind je nach Kamera-/Motivabstand mehrere entscheidende Höhenmeter.

Genau das wird mit den beiden Bildreihen demonstriert. Das jeweils erste Foto wurde mit gekippter Kamera aufgenommen. Das zweite Foto mit geraden Linien, aber zu viel Vordergrund und fehlendem Dach wurde mit exakt ausgerichteter Kamera abgelichtet. Das dritte Foto mit um die je nach PC-Objektiv möglichen Millimetern Verschiebung, engl. Shiften. Womit auch die zweite Bezeichnung derartiger Objektive erklärt ist: Shift-Objektiv.

In diesem Fall kein teures Nikon Spezial-Objektiv, sondern ein billiges Plastikobjektiv, das ungeachtet der Materialwahl mit drei Glaslinsen bestückt ist. Mit festen Blenden f/11 und f/22 als Fixfokuskontruktion, dessen Schärfentiefe bei Blende f/11 und einer Motiventfernung von 20 m von ca. 4 m bis Unendlich reicht.

Neben der Verschiebe-/Shiftmöglichkeit bieten moderne Konstruktionen auch die Möglichkeit das Objektiv in sich zu kippen, zu "Tilten". Was dann die vollständige Bezeichnung bestimmter, derartige Objektive erklärt: TS, Tilt-Shift. Die Technik ist keine moderner Erfindung, sondern steht jeder so genannten Fachkamera zur Verfügung. Vereinfacht gesprochen bestehen diese Kameras aus zwei gegeneinander verschiebbaren Metallplatten, montiert auf einem stabilen Metallrohr. Die hintere Metallplatte nimmt je nach Format Film oder Planfilm (früher Glasplatten) auf oder in modernen Zeiten eine Digitalrückwand mit entsprechendem Bildsensor. In die vordere Metallplatte werden die gewünschten Objektive montiert, die einen Zentralverschluss enthalten. Diese beiden Metallplatten können nicht nur jede für sich vertikal/horizontal verschoben werden, sondern auch unterschiedlich gekippt. Diese Verstellmöglichkeiten gestatten

Das TS-Objektiv fürs 24 x 36 mm Kleinbild- und größere 6 x 6/6 x 7 cm Mittelformate bzw. Bildsensoren in diesen Größen bieten die Möglichkeiten der beschriebenen Großformatkamera, wenn auch nicht ganz so extrem. Problem: Diese Spezial-Objektive sind extrem teuer. Rekordhalter ist das Canon EF 17mm f/4,0 TS-E L Canon EF was Größenoerdnung 2000 Euro kostet. Bei einem Bildwinkel von 104 Grad kann dieses Objektiv um +/- 6,5 Grad gekippt/geneigt werden und +/- 12 mm verschoben/geshiftet werden.

Shiften, PC-Korrektur für 40 Euro: 35 mm LOREO LENS IN A CAP PC

Der Shift-Effekt sollte deutlich geworden sein. Auch wenn das 35er nur um 3,5 mm verstellt werden kann und auf der APS-C Sensor mit Crop 1,5 zum 53 mm Normalobjektiv wird. Ich habe dieses PerspectiveControl Objektiv vor Jahren als reines Spielzeug erworben. Jetzt, Frühjahr, war die Zeit es mal wieder zu probieren. Um erstaunt zu sein, was ein so primitiv aufgebauter Dreilinser bei einer Pixeldichte von 65 MP (bezogen aufs Kleinbildformat) leisten kann. Aber ganz sicher dadurch begünstigt, dass nur 15 x 23 mm Fläche, statt 24 x 36 mm Vollformat-Fläche ausgezeichnet werden müssen. Evtl. unscharfe Randbereiche werden automatisch abgeschnitten!

Und mehr zum Thema: "Architekturfotografie" am oder schon über dem Limit

Trotz der gewollt kleinen Abbildung stimmt da doch einiges nicht. Ja der historische Bau, die ehemalige Landwirtschaftskammer Rheinland, die heute das Mathematik-Zentrum der Universität Bonn beherbergt, ist fast komplett erfasst. Aber warum ist die technische Qualität so miserabel, die Perspektive irgendwie nicht schlüssig, ja unnatürlich? So fotografiert man natürlich keine Architektur! Aber die EBV zeigt, wie weit man es (über)treiben kann. Die Auflösung dieser "Architekturaufnahme" gibt es am Ende des Beitrags ;-) 

Aufhänger für diesen Beitrag war nach dem 35 mm LOREO diese Werbung aus der schwedischen „FOTO“ für das 1962 vorgestellte 3,5/35 mm PC Nikkor. Das Ganze war für ein anderes Forum, passt aber hier als Nachtrag bestens zum verstellbaren 11/35 mm LOREO für Architekturfotografie.

Das erste verstellbare Fachobjektiv der Welt fürs Kleinbildformat!

Sind PerspectiveControl - PC-Nikkore im Digitalzeitalter obsolet? Jein...

Photoshop, Lightroom, das kostenlose Nikon Capture NX und sicher auch andere Bildbearbeitungen und weiter Rohdatenentwickler bieten von manuellen bis automatischen Begradigungswerkzeugen die nötigen Tools, um stürzende Linien unabhängig von der Objektivbrennweite zu begradigen. Im Extrem oben gezeigt. Wo die Schärfe bis zur Unbrauchbarkeit in den Keller geht.

Übrigens: Geradestellen ohne PC-Objektiv/Großformat-Fachkamera war bereits (in Grenzen) zu Analogzeiten möglich. Durch Schrägstellen der Bühne, auf der das mit dem Vergrößerer zu belichtende Fotopapier liegt!

Ein Unterschied zum echten Shift-Objektiv bleibt aber immer

Das per Software begradigte, von unten aufgenommene Gebäude zeigt immer eine sogenannte Untersicht. Ich habe von unten nach oben gesehen und fotografiert. Und diese Vorlage per Software gerade gestellt. Die per Shiftobjektiv gemachte Aufnahme wirkt, als ob ich von einem gedachten gegenüberliegenden Gebäude aus der - sagen wir - ersten Etage oder von einer sehr hohen Leiter aus fotografiert habe.

Die "falsche" Darstellung durch EBV-Shiften wird aber allenfalls Architekten auffallen. Und Fotograf*Innen, die ihren Lebensunterhalt mit entsprechender Sachfotografie und entsprechendem Gerätepark - Stichwort Großformatfachkamera - verdienen. Die sehen vermutlich auf Anhieb, ob per Shiftobjektiv oder Software geradegestellt wurde. Dem flüchtig hinschauenden Laien fällt es überhaupt nicht auf, bzw. es interessiert ihn nicht.

Ganz abgesehen davon, mit 35 mm Shift-Brennweite komme ich nicht weit, wenn ganze Gebäude erfasst werden müssen. Wer sich trotz der Softwaremöglichkeiten an einem richtigen Shiftobjektiv versuchen möchte, sollte zum weitwinkligeren 4/28 mm (1975) oder 3,5/28 mm PC Nikkor (1980) greifen, was mit viel Geduld und noch mehr Glück aber eine Investition von 300 Euro bedeutet.

Ermöglicht wird die Verstellung/Verschiebung durch einen größeren Bildkreis, den diese PC-Objektive abdecken. Die Diagonale des 24 x 36 mm Kleinbildformats beträgt 43 mm. Um das Objektiv, wie beispielsweise das 35 mm PC-Nikkor um 11 mm verstellen zu können, muss der ohne Abschattung (Vignettierung) auszuzeichnende Bildkreis eben 43 + 11 mm = 54 mm betragen.

Genau das trifft auch auf PC-Objektive zu, die für das 6x6 (cm) Film-Mittelformat SLRs gerechnet sind. In der Fotografie mit so genannten Großformatkameras sind die Objektive von vornherein auf größere Bildkreise ausgelegt, um die extremen Verstellmöglichkeiten dieser Kameras überhaupt möglich zu machen.

Jetzt die Auflösung des kleinen Rätsels von oben

Vorlage fürs miserable Endergebnis war eine Aufnahme mit dem ausgezeichneten AF DX Fisheye-Nikkor 10,5 mm 1:2,8G ED auf der D4.

Die Vorlage für das "komische" Architekturfoto von oben…

Aus krumm mach gerade…

Der kostenlos zur Verfügung stehende Rohdatenkonverter Nikon Capture NX ist in der Lage aus einer Aufnahme mit dem Fisheye eine verzeichnugsfreie Superweitwinkelaufnahme zu generieren: In den zwei gezeigten Varianten.

Die zweite Variante wurde anschließend mit den Transformations-Werkzeugen Photoshops solange zurecht geschoben und gezogen, bis das zu Beginn gezeigte Endergebnis herauskam. 

Keine gute Idee und und schon gar keine Lösung!

Deutlich besser die Lösung mit gemäßigterer Brennweite. Dazu wurde das Gebäude vom gleichen Standpunkt nach dem 10,5 mm Fisheye-Nikkor mit dem 4/20 mm MF Nikkor abgelichtet, was natürlich viel weniger Gebäude aufs Foto bringt.

Transformieren, Upright, Auto – Perspektivkorrektur mit Adobe Lightroom

Das muss/kann – siehe rechts – fertig beschnitten werden, was dann natürlich noch weniger vom Gebäude zeigt. Bei der Perspektiv-Korrektur soll man vorsichtig sein und einen kleinen Rest, eine Gradzahl stürzende Linen im Foto belassen. Sonst scheint perfekt das geradegestellte Gebäude nicht mehr nach hinten, sondern aufeinmal subjektiv auf den Betrachter zu zukippen…  

Und mit 35 mm Shift-Brennweite?

Man muss schon genau hinsehen, um die Verbesserung zu erkennen…

Selbst von der anderen Straßenseite (!) aufgenommen, wird es nicht viel mehr. Was die „Qualität“ angeht: Es war das dreilinsige (Glaslinsen!), aber sonst Plastik-PC-„LOREO“, dem das Vollformat dann seine Grenzen zeigt! Das auch nur 3,5 mm Verstellung ermöglicht.

Hier noch ein Beispiel mit dem „Plaste-Shift-Objektiv“

Der Höhengewinn ist sicher erkennbar, aber es bleibt beim Tipp zum 28 mm PC Objektiv zu greifen, wenn denn schon bei der Aufnahme so weit wie möglich geradegestellt werden soll – Stichwort Untersicht.

Sind verstellbare Objektive im Digitalzeitalter obsolet, lautete die Frage zu Beginn?

Ganz klar nein, wenn es sich um ein eigentlich falsch bezeichnetes PC Nikkor E 19mm f/4,0 ED Nikon FX handelt.

Mit diesem nicht nur in der optischen Achse verschiebbaren ("Shift") sondern auch schwenk-/kippbaren ("Tilt") Spezialisten dringt Nikon in den Bereich der professionellen Sachfotografie ein. Ich weiß nicht ob der Begriff TS für TiltShift geschützt ist, aber jedenfalls bezeichnet Canon seine Spezialobjektive als TS-Linsen. Und beim 19 mm Nikkor handelt es sich um ein reinrassiges TiltShift-Objektiv! Und das mit Superweitwinkelbrennweite.

Zu Analogzeiten war die in fast alle Richtungen und Winkel verstellbare Großformatfachkamera ein Muss in entsprechenden Studios. Womit man heute statt mit einem Rückteil für Planfilm mit einem Digitalback ausgestattet gleich im höheren fünfstelligen Euroinvestitionsbereich landet! Mit vermutlich dem Endabnehmer nicht mehr vermittelbaren Kosten. Die immer weniger Kunden bereit sind zu bezahlen. 

Damit gehört auch der Anblick einer Großformatfachkamera und dem Fotografen, der Fotografin unter dem schwarzen Tuch wie aus den Anfangstagen der Fotografie der Vergangenheit an...

Letzter Nachtrag: Vampirfotos ;-)

Um einen Spiegel ohne das Spiegelbild der Kamera samt "Vampir*In" – Pardon Fotograf*In zu zeigen, kann das Shift-Objektiv natürlich auch eingesetzt werden. Aber auch hier kann der ohne PC-Objektiv schräg aufgenommene Spiegel per Software gerade gestellt werden…

Ralf Jannke, Frühsommer 2020

 

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