Betriebsblindheit

Neben zahlreichen Definitionen unter anderem von Wikipedia oder der "Karrierefibel" kommt die der Seite "Wirtschaftslexikon24" dem aufgetretenen Problem am nächsten. Wobei es in dem gleich geschilderten Fall nicht um einen Produktionsbetrieb, sondern um den Betrieb einer Kamera geht.

Wirtschaftslexikon24 schreibt (gekürzt und leicht geändert):

"Betriebsblindheit ist die Anwendung von (...) Lösungsverfahren, die auf der Bewährung in der Vergangenheit beruhen. Sie (die Verfahren) bleiben bestehen, obwohl sich die Voraussetzungen für ihre Anwendung eigentlich geändert haben oder nicht mehr bestehen." Oder salopp übersetzt: "Das haben wir schon immer so gemacht..."

Und was hat das jetzt mit einer Kamera zu tun?

Der Umstieg von meiner 2008 vorgestellten 12 Megapixel Nikon D700 zur hochauflösenden 36 Megapixel Nikon D800 geriet von der Autofokusleistung zunächst zum Fiasko. Ein Firmwareupdate brachte seinerzeit keine wirkliche Linderung.

Erst die Infragestellung einer alten Arbeitsweise brachte eine sicht- und zählbare Leistungsteigerung.

Ein US-Fotograf hatte ebenfalls die von Nikon DSLRs vor der D800 gewohnte und nie in Frage gestellte Einstellung in der Autofokus-Betriebsart AF-C „Auflösepriorität“ einfach beibehalten – und dann doch in Frage gestellt.

Mit der alten Arbeitsweise waren gleich zwei (Voraussetzungen) der Definition Betriebsblindheit erfüllt: „Bewährung in der Vergangenheit“, obwohl „sich (die) Voraussetzungen für ihre Anwendung (…) geändert haben“. Die alte, bewährte Einstellung – AF-C plus Auslösepriorität – und eine neue Anwendung, eine neue Kamera.

Nachdem der US-Fotograf die Nikon D800 in den INDIVIDUALFUNKTIONEN, a Autofokus, a1 Priorität bei AF-C (kont. AF) von Auslösepriorität auf Schärfepriorität umgestellt wurde, verbesserte sich die Autofokusleistung schlagartig. Ohne (!) dabei extrem negativ auf die Bildfrequenz einzuwirken, was ja denkbar war.

Wie wichtig es ist, nicht nur bei einem Neugerät betriebsblind zu sein, sondern auch nach Jahren gelegentlich die Einstellungen seiner Kamera zu überprüfen, musste ich jetzt lernen.

Warum war die Autofokus-Trefferleistung meiner D800 gesunken? Ganz simple Antwort: Weil – warum auch immer – die oben beschriebene Einstellung statt auf Schärfe- wieder auf Auslöse-Priorität stand. Eine Korrektur brachte sofort eine bessere Autofokus-Trefferleistung! Es lohnt sich bei jeder DSLR/DSLM gelegentlich sein Tun zu hinterfragen und Einstellungen zu kontrollieren!

Und weil ich schon mal dran war, habe ich die Einstellungen in der D2Hs und D2Xs auch gleich kontrolliert. Und in beiden Kameras von "Auslösepriorität" auf eine mittlere Position "Auslöseprioriät und Schärfepriorität" umgestellt. Die parallel zur D800 mitgenommene D2Hs zeigte mehr Treffer. Das ist alles natürlich sehr subjektiv.

Und warum die unterschiedlichen Einstellungen von Nikon D800 und D2Hs/D2Xs?

Die hohe Auflösung von 36 Millionen Bildpunkten auf dem Vollformat-Sensor der Nikon D800 verzeiht nicht die kleinste Fehlfokussierung. Meine geringer auflösenden D2-Nikons sind da deutlich gutmütiger. Die begnügen sich mit der Einstellung "Auslöseprioriät und Schärfepriorität".

Und noch ein Fall vergleichbarer Betriebsblindheit

Fotograf Andreas Krappweis, der einen beachtenswerten Kanon seiner Lieblings-Digitalkameras beisteuerte, wunderte sich über eine frisch erworbene Nikon D100.

Eine "brave" Kamera, die schöne Bilder macht ;-) Aber vom Druck auf den Auslöser bis hin zur Aufnahme dauert es eine Ewigkeit, während der der Sucher dunkel bleibt. Ist das normal? Natürlich nicht!

Und wo lag der Fehler?

Im Kamera-Menü gibt es einen Eintrag "Verwacklungsschutz“. Der war aktiviert und bewirkte die stark verzögerte Auslösung. Eine Art vorsintflutlicher „Mirror Up“ (Spiegelverriegelung). So etwas kann einem den letzten Nerv rauben!

Nachtrag Canon EOS 40D

Auch das gehört im weitesten Sinn in die Kategorie Betriebsblindheit/genau hinschauen

Worum geht es? Um eine neu erworbene Canon EOS 40d und deren völlig rätselhafte Auslöseverzögerung, ja gefühlte Auslöseverweigerung. In Erwartung, dass Fokussierung und Auslösung fast synchron laufen, war diese EOS 40D erst nach einem "herzhaften" Druck auf den Auslöser bereit auch tatsächlich auszulösen. Die dadurch entstandene Verzögerung machte die EOS fürs Aufnehmen bewegter Motive aber zunächst unbrauchbar und bei langen Verschlusszeiten verwacklungsanfällig.

Und jetzt?

Nochmal genau hingeschaut, besser hingefühlt ;-) Diese EOS 40D ist meine erste (Canon-) DSLR, die über einen Auslöser mit zwei deutlich fühlbaren Druckpunkten verfügt. Das war sicher nicht so gedacht, und dürfte eher ein (beginnender?) Defekt sein. Ein genaues Hinfühlen brachte aber die Lösung.

Tatsächlich hat dieses EOS-Exemplar zwei (!) Druckpunkte. Auf den ersten Druckpunkt wird fokussiert. Auf einen weiteren, zu „sanften“ Druck passiert – nichts. Und „heftig“ durchgedrückt kommt alles viel zu spät. Und bei langen – in der Sportfotografie sicher nicht der Fall – Verschlusszeiten steigt das Verwacklungsrisiko. Nach dem/beim Fokussieren (Nachführ-AF, AF-C) den zweiten Druckpunkt erfühlen und dann drücken. Und schon macht die EOS, was sie soll: Gleichzeitig autofokussieren und auslösen – sofort. Ein Wunder ;-)

Ralf Jannke, Frühjahr 2018

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