Ricoh Caplio GX100 – Praxisbeitrag von Christian Zahn

Zunächst einmal: Ricoh hat schon sehr früh, bevor es die meisten anderen machten, auf Verpackung aus Karton ohne allzuviel Kunststoff gesetzt. Lediglich Kleinteile wie USB-Kabel, Akku, Ladegerät usw. wurden in eine durchsichtige Tüte gepackt. Auf die „Eco-friendly Package“ wird auf dem Karton extra hingewiesen. Eigentlich ist bei den Ricoh-Verpackungen um den Karton noch eine weiter stabile, mehrfarbig bedruckte Pappe gezogen, da diese aber beim Auspacken oft beschädigt wurde, fehlt sie bei Gebrauchtkauf fast immer.

Die eigentliche Kamera im Karton ist recht klein. Zusätzlich ist in dem abgebildeten VF-Kit auch noch ein Viewfinder, ein elektronischer Aufstecksucher, enthalten. Dieser wird in den Blitzschuh gesteckt, rastet dort ein und kann um 90° nach oben geklappt werden. Um das Objektiv sitzt ein abnehmbarer Ring, dort kann eine (im Kit nicht mitgelieferte, sondern extra zu kaufende) Streulichtblende, ein Weitwinkelkonverter (damit 19mm KB-äquivalente Anfangs-Brennweite) oder ein Filteradapter montiert werden.

Da der Deckel beim Kameraeinschalten gerne vergessen wird und die Kamera das mit einer nervigen Fehlermeldung quittiert, gab es von Drittherstellern „automatische“ Streulichtblenden, diese klappen beim Objektivausfahren auf und schließen sich beim Einfahren wieder durch Federkraft. Allerdings sind sie eigentlich nur ein Finger- und Kratzerschutz im geschlossenen Zustand, Staub kann in der Kameratasche durch die nicht dicht schließenden Schlitze zwischen den drei Kreissegmenten leicht auf das Objektiv gelangen.

Ricoh war ein eher kleiner Anbieter von Digitalkameras, er gehörte nie zu den Herstellern mit großen Stückzahlen. Ricoh bot auch nicht Hunderte von verschiedenen Kompaktknipskisten an, sondern einige wenige mit herausragenden Spezialitäten. Die Kompaktkameras der R-Serie bzw. der CX-Serie boten schon sehr früh KB-äquivalente 28-200mm in einem sehr kleinen Gehäuse (im abgeschaltetem Zustand verschwindet das Objektiv ganz im Gehäuse, dazu werden einige Linsen seitlich verschoben).

Die Ricoh GXR war eine Kompaktkamera mit der Möglichkeit, die Sensor- und Objektiveinheit zu tauschen (es gab ein Modul mit Zwergensensor und 28-200mm Objektiv, ein APS-C-Modul mit 24-72mm-Objektiv, ein APS-C-Modul mit 50mm-Macro-Objektiv und ein Modul, das Leica-M-Objektive aufnimmt und ebenfalls einen 12 Megapixel-APS-C-Sensor nutzt.) 

2011 kaufte Ricoh den größeren Konkurrenten Pentax vom optischen Glashersteller Hoya und stellte bald darauf den Vertrieb von Kameras unter dem eigenen Namen ein, alle Ricoh-Kameras liefen danach unter dem Pentax-Logo.

Spezifikation der Ricoh GX100

  • Die 2007 vorgestellte Caplio GX100 ist 112 x 58 x 25 mm groß und wiegt ohne Akku und Speicherkarte 200 g.
  • Der 1/1,75“ 5,8 x 4,3 mm CCD-Sensor löst maximal 3648 x 2736 Bildpunkte  = 10 Megapixel auf. Mit der ISO-Automatik oder manuell sind  80 bis 1600 ASA einstellbar. Videos sind in 4:3 Format mit 640 x 480 Pixel möglich. Bilder werden als JPEG oder DNG(RAW-Format) auf SD/SDHC-Karte (max. 32 GB) gespeichert.
  • Das Motiv wird über einen 2,5“ TFT LCD Monitor mit 230.000 Subpixeln angezeigt, der auch die Menüsteuerung übernimmt. Zusätzlich ist ein elektronischer Sucher in den Blitzschuh einsetzbar (um 90° nach oben klappbar, 201.000 Subpixel)
  • Das Objektiv ist ein 5,1-15,3mm/1:2,5-4,4 (24-72 mm @KB) 3-fach Zoom
  • Entfernungseinstellung Einzel-Autofokus (AF-S) mit 17 AF-Feldern, (Hybrid AF, Ermittlung durch Kontrasterkennung auf dem Bildsensor, unterstützt durch aktiven Infrarotstrahl), zusätzlich manuelle Scharfstellung mit eingeblendeter Entfernungsskala und Sucherlupe
  • Belichtungssteuerung durch Programmautomatik, Zeitautomatik  oder Vollautomatik und diverse Motivprogrammen. Belichtungszeiten 8 s bis 1/2000 sek. Selbstauslöser mit 10 s Vorlaufzeit
  • manuell ausklappbarer Blitz mit ca. Leitzahl 6 (ISO 100) und den üblichen Funktionen: Ein/Aus, Automatik, Langzeitsynchronisation, Rote-Augen-Reduktion; zusätzlich Norm-Blitzschuh mit Mottenkontakt (ohne TTL-Steuerung)
  • Weißabgleich  automatisch oder manuell mit diversen Vorwahlen wie Sonne, Wolken, Glühlampenlicht usw.
  • optische Bildstabilisierung durch beweglichen Bildsensor
  • Energieversorgung über DB-60 Lithium-Ionen-Akku oder durch handelsübliche 2 Mikrozellen (Batterien oder Akkus)
  • USB über handelsübliche Mini-USB-2.0-Buchse

Beispielfotos

Alle Aufnahmen entstanden an einem Spätsommertag bei 100 ASA, gespeichert als DNG, gewandelt mit Adobe Camera RAW und bearbeitet mit Photoshop CS6. Bildausschnitt, Helligkeit, Farben, Lichter / Schatten sowie Schärfe wurden korrigiert, die Verzeichnung konnte aufgrund der Motive umkorrigiert bleiben, die Größe wurde auf 1500 Pixel bikubisch verkleinert. Alle Bilder ohne Brennweitenangabe sind weitwinklig, in die Teleaufnahmen sind 100%-Ausschnitte vergrößert einmontiert.

Besonderheiten

  • Der Name „GX“ weist auf die frühere „Edelkompakte“ Ricoh GX (für Kleinbildfilm mit Festbrennweite und Meßsucher) hin. „Caplio“ hießen die meisten Ricoh-Digitalkameras bis etwa 2008. Was dieser Kunstname bedeuten soll, ist mir leider nicht bekannt.
  • Unter den vielen Motivprogrammen ist eines zur Entzerrung schräg aufgenommener Dokumente.
  • Die Stromversorgung kann neben den propietären Akkus auch mit zwei überall erhältlichen Mikrozellen erfolgen.
  • Der Sensor ist etwas größer als der üblicherweise in Kompaktkameras verbaute.
  • Das Objektiv ist für den Zeitpunkt der Kameravorstellung sehr weitwinklig (24mm KB-äquivalent).
  • Der USB-Anschluß nutzt eine übliche Mini-USB-2.0-Buchse. Es muß kein herstellerspezifisches Spezialkabel benutzt werden, daß bei Gebrauchtkauf sehr gerne fehlt.
  • Das RAW-Format ist Adobe DNG. Diese werden immer parallel mit einem JPEG aufgenommen, was allerdings sehr lange dauert, da die Kamera keinen allzugroßen Pufferspeicher hat. Im RAW-Modus ist konsequenterweise die Serienbildfunktion nicht anwählbar. Action- oder Sportfotografie ist unmöglich, die GX100 ist eine Kamera für Wanderungen.
  • Auch die Einschaltzeit ist recht lang, zwar wird das Objektiv recht flott ausgefahren und der Monitor angeschaltet, aber die erste Aufnahme ist erst nach einer mehrsekündigen Denkpause der Kamera möglich.
  • Der Autofokus arbeitet hybrid: neben der klassentypischen Kontrastermittlung durch den Bildsensor gibt es die von den filmbasierten Kompaktkameras her bekannte aktive Infrarottechnik: Eine IR-Diode sendet einen Strahl auf das Motiv, die Laufzeit bis zum Eintreffen des reflektierten Licht in der daneben angeordneten IR-Empfangsdiode wird gemessen, daraus kann die Motiventfernung errechnet werden.
  • Die Bedienung und die Menüführung ist stark an die Ricoh-Kompaktkameras der Caplio- bzw. CX-Serie angelehnt. Es gibt eine Zoomwippe, ein vorderes Fingerrad, ein  Art „Daumenrad“ (kann nach links und rechts bewegt und zur Bestätigung gedrückt werden), ein Cursorkreuz, eine an der linken Oberseite befindliche (recht) frei belegbare Funktionstaste und einen Umschalter zwischen Sucher und Display. 
  • Es gibt einen elektronischen Aufstecksucher mit Dioptrienausgleich und automatischer Verriegelung beim Aufsetzen in den Blitzschuh. Für niedrige Aufnahmestandorte kann er bis zu 90° nach oben geklappt werden. Er ist kein normaler LCD-Sucher, sondern benutzt ein reflektives CMOS-Element mit ferroelektrischer LC-Anzeige. Die Umschaltung zwischen Display und LCD erfolgt mangels Annäherungssensor manuell durch eine Taste an der Kamera.
  • Am Gehäuse gibt es zwei Ösen für die Gurtbefestigung, eine für die Trageschlaufe, eine für die Objektivdeckelbefestigung. Von Drittanbietern gab es Kameratragegurte für beide Ösen, so daß die GX100 um den Hals gehängt wie eine Spiegelreflex- oder Systemkamera getragen werden konnte. 
  • Das Bildformat für JPEGs kann eingestellt werden, 3:2, 4:3 und 1:1 (jawohl, quadratisch!) ist möglich.
  • Die Blitzbelichtungsmessung mit dem internen Blitz erfolgt immer (auch im manuellen Belichtungsmodus) mit einem nicht abschaltbaren Vorblitz, es gibt aber leider keine Blitzleistungskorrektur.

Im Akkufach ist eine kleine gefederte Klappe, so daß zwei Mikrozellen statt des LiIon-Akkus genutzt werden können. Je nach Batterie-Art sind aber nur wenige Bilder mit einem Satz möglich (frische Zink-Kohle-Zellen reichen z B. nur für etwa 40 Aufnahmen)

Die UVP betrug ca. 550 Euro ohne Aufstecksucher, das Kit mit VF-1 kostete etwa 100 Euro mehr.

Nach nur etwa einem Jahr Bauzeit wurde die GX100 durch die mehr oder minder baugleiche GX200 ersetzt. (mit 12 statt 10 Megapixel, elektronischer Wasserwaage, zweiter frei belegbarer Funktionstaste, wesentlich größerem Pufferspeicher und weiteren Kleinigkeiten mehr. Der Hybrid-AF allerdings fiel weg, es gab nur noch Kontrast-AF.) Die GX200 wurde wesentlich länger gebaut, der Abverkauf erfolgte erst nach ca. 4 Jahren.

Qualitäts- und sonstiger Eindruck

Das Gehäuse ist eine Kombination aus Metall, Kunststoff und Gummi, es fühlt sich recht wertig an und liegt dank des Akkubuckels und der gummierten Daumenauflage recht gut in der Hand, zumal das Kameragewicht einsatzbereit nicht allzuhoch ist. Die verwendeten Materialen sind trotz „Made in China“ auch nach bald 15 Jahren gut erhalten, der berüchtigte „Gummiauflagenschwund“ oder das „Verkleistern“ aufgespritzter Gummierungen anderer Kamerahersteller ist  (zumindest bei meinem Exemplar) bislang nicht aufgetreten.

Mein ca. 2015 gebraucht erworbenes Exemplar hat vermutlich nicht allzuviele Auflösungen beim Vorbesitzer machen müssen, die meisten Gebrauchsspuren stammen von mir.

Die Bedienung ist Nutzern anderer Caplios fast sofort vertraut, im manuellen Modus gibt es für Zeit- und Blendeneinstellung je ein Rad. Gewöhnungsbedürftig ist höchstens die Anzeige der Bildbreite in Pixeln im Sucher, die „3648“ dort ist nicht die Anzahl der noch auf die Speicherkarte passenden Bilder.

Das Objektiv war zum Verkaufsstart für das Marktsegment Kompaktkamera recht weitwinklig, üblicherweise begann der Bereich bei 28 oder gar 35mm. Leider ist das Objektiv der GX100 eigentlich nur in der Weitwinkelstellung nutzbar, je mehr es in den Telebereich gezoomt wird, desto weicher und schwammiger wird das Bild. Vielleicht hätte Ricoh besser eine Festbrennweite eingebaut als die Zoomoptik, die in der Weitwinkelstellung auch noch stark tonnenförmig verzeichnet.

Dem Sensor merkt man das Alter an, 2007 war der Dynamikumfang noch lange nicht so wie heutzutage. Die Schatten haben wenig Zeichnung, die hellen Stellen „brennen“ recht früh aus, bei höheren ISO-Zahlen rauscht die Kamera stark. 

Fazit: eine sicherlich digitalkamerahistorisch interessante Kamera, heutzutage zum ernsthaften Bildermachen eher ungeeignet, es sei denn, man beschränkt sich auf die Weitwinkelstellung des Objektivs, 100 ASA sowie Speicherung als DNG, Korrektur der Objektivfehler im nachgeschalteten Bildbearbeitungsprozess und Aufnahmen bei hellem Sonnenlicht ohne allzugroße Kontraste.

Christian Zahn, Herbst 2020

Christian Zahn betreibt auch die eigene Internetseite „Museum für alte Kameras sowie Fotogalerie“.

Dort werden unter anderem (Analog-) Kameras von AGFA bis Zeiss vorgestellt.

 

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