Tamron 75-300 an Canon EOS 5D

In diesem Kurzbericht geht es um die Verwendung eines ca. 25-30 Jahre alten Zoomobjektivs an einer digitalen Spiegelreflexkamera mit Vollformat-Sensor. Das Objektiv stammt aus der analogen Ära.

Tamron wurde 1950 gegründet und hat einige Innovationen in seiner Geschichte entwickelt, die heute noch Bestand haben. 1957 wurde der „T2“-Anschluß vorgestellt, mit dem noch heute diverse Objektive an Kameras adaptiert werden. Um 1980 wurde das Adaptall-System präsentiert, ein Grundobjektiv kann durch spezielle Adapter an viele damals aktuelle Kameragehäuse adaptiert werden, die Offenblendenmessung und die Springblende werden übertragen. Da der Anwender den Adapter selbst wechseln kann, ist es möglich, ein Objektiv mit verschiedenen Kamerasystemen zu nutzen, ohne für jedes Kameragehäuse eine eigene Objektivserie erwerben zu müssen.

Seit etwa 1988 baut Tamron auch Autofokus-Objektive, die EOS-Varianten sind wesentlich problemloser an analogen und digitalen Canon Spiegelreflexkameras zu benutzen als die berüchtigten Objektive des Mitbewerbers Sigma. Weil dieser Hersteller das digitale Übertragungsprotokoll zwischen Objektiv und Kamera nicht von Canon lizensiert hat, sondern mittels „Reverse Engineering“ nachgebaut hat, kommt es immer wieder zu Inkompatibilitäten vor allem von älteren Sigma-Objektiven an Canon (d)SLRs. Tamron scheint dieses Problem nicht zu haben, alle meine Tamron-EOS-Objektive funktionieren an den diversen Canon-Kameras in meinem Fundus.

Eines der bekanntesten Tamron AF-Objektive dürfte das „Superzoom“ 28-200mm sein, Tamron war für einige Zeit der einzige Anbieter von Zooms mit diesem damals enormen Brennweitenbereich, das Objektiv wurde sogar mit Adaptall-Anschluß verkauft. Bei engagierten Amateuren wurde es als „Suppenhuhn“ oder „Flaschenboden“ tituliert, weil seine optische Qualität bei Offenblende aufgrund des enormen Brennweitenbereichs nur sehr bescheiden war. Spätere Versionen bekamen verbesserte Rechnungen und erreichten das Niveau „normaler“ Zoom wie z. B. dem hier vorgestelltem Modell.

Tamron hat in der Vergangenheit und auch aktuell Objektive für diverse Kamerahersteller entwickelt und gebaut, so ist z. B. das AF-Nikkor 2,8/14mm von 2002 ein äußerlich leicht verändertes Tamron SP AF 14mm. Auch aktuelle Objektive der Nikon-Z-Linie baut Tamron, z.B. das Nikon Z 28-75mm f/2.8. Außerdem stammen einige Pentax-Objektive von Tamron, teilweise nur mit äußerlich leicht verändertem Aussehen, teilweise zusätzlich mit Elektronik von Pentax und Optik und Mechanik von Tamron. So gibt es das 28-105 mm 1:4-5,6 (IF) auch als Pentax SMC FA 28-105mm (IF).

Tamron AF 75-300 mm 1:4-5,6 LD Tele-Macro (1:3,9)

Dieses Objektiv erschien vermutlich zwischen 1993 bis 1999, es wurde als „Tele-Kitobjektiv“ für sparsame Käufer entwickelt, denen die entsprechenden Objektive der Kamerahersteller zu teuer waren. Es wurde mit diversen Kamerabajonetten angeboten, die EOS-Version ist die einzige mit eingebautem AF-Antrieb, alle anderen Versionen (unter anderem für Nikon, Pentax und Minolta) wurden durch den Kamera-AF-Motor angetrieben. Inzwischen hat Tamron das Objektiv mehrfach verbessert und den Brennweitenbereich auf 70-300mm erweitert.

In der Typenbezeichnung steht „LD“, es hat also mindestens eine Linse aus Sonderglas mit niedriger Dispersion, also niedriger Zerstreuung der verschiedenfarbigen Lichtstrahlen. Der optische Aufbau ist aufwendig und hat 13 Elemente in 9 Gruppen. Aus Kostengründen wurde es in China und nicht in Japan hergestellt.

An der Canon EOS 5D „meldet“ sich das Objektiv als Tamron 70-300 1:4,5-5,6 Di LD (es überträgt die selbe LensID an die Kamera wie sein Nachfolger). Darum steht in den EXIFs meiner Beispielaufnahmen am „kurzen“ Brennweitenende 70mm und nicht 75mm. In wie weit das Objektiv nun 70 oder 75mm als kürzeste Brennweite hat, darüber ist müßig zu streiten, denn vermutlich wird sich die effektive Brennweite beim Fokussieren wie bei vielen anderen Zooms ebenfalls verändern.

Der breite und gummierte Entfernungsring läuft bei der manuellen Fokussierung sehr leicht, er dreht sich beim automatischem Fokussieren mit und der AF-Motor ist sehr laut. Für eine präzise manuelle Fokussierung ist der Einstellweg von ca. 90° viel zu kurz. Die Naheinstellgrenze von 1,5 Metern ist gut (bezogen auf ein 300mm-Objektiv, bei 75mm ist sie eher schlecht). Bei 300mm erreicht das Objektiv einen Abbildungsmasstab von etwa 1:4, deshalb hat der Hersteller „Makro“ auf das Gehäuse aufgedruckt.

Eine Bildstabilisierung ist nicht eingebaut. Der innere Aufbau ist beim Zoomen in die Telestellung zu sehen. Das ist kein Fehler meines Exemplars, sondern wurde genau so verkauft, allerdings möglicherweise nicht bei allen Bajonettvarianten.

In der Canonversion ist kein Blendenring verbaut, mit Pentax- bzw. Nikon-Anschluß hat das Objektiv einen verriegelbaren Blendenring. Es sind 9 Blendenlamellen eingebaut.

Das beim Fokussieren mitdrehende Filtergewinde beträgt 62mm, das Objektiv hat einen Durchmesser von 77 mm, eine Baulänge ab Bajonett von 122 mm und wiegt 460 Gramm. Beim Zoomen wird es etwa 48mm länger, beim Fokussieren ca. 16mm. Die Streulichtblende rastet in ein Bajonett und war im Lieferumfang enthalten. Weil sich das Bajonett beim Fokussieren mitdreht, hat die Blende keine Blütenform. Der mitgelieferte Objektivdeckel ist ein Snap-In-Typ, er läßt sich bei montierter Streulichtblende gut abnehmen.

Das gesamte Objektiv macht einen recht wertigen Eindruck, das Bajonett ist aus Metall, die Kunststoffe der Fassung wirken durchaus nicht „billig“.

Am Vollformatsensor der 5D und Offenblende ist das 75-300 LD über das gesamte Bild etwas unscharf, Abblenden um ein bis 2 Stufen steigert die Schärfe, danach kommt es bereits zu Beugungseffekten. Bei 300mm ist die Schärfeleistung bei allen Blenden schlechter als bei 200mm und darunter. Die chromatischen Aberrationen sind bei allen Blenden und Brennweiten sehr gering.

Das Objektiv hatte um 2002 eine UVP von vermutlich ca. 190 bis 250 Euro. Als Vergleich: das Canon 70-300 USM kostete mehr als das Doppelte. Der heutige Zeitwert ist auf 20 bis 100 Euro je nach Zustand, Lieferumfang und Bajonettanschluß gefallen. Die optisch wesentlich verbesserten Nachfolger (mit eingebautem Bildstabilisator) kosten etwa im Gebrauchthandel 100 bis 200 Euro. Ich kaufte im Jahr 2018 das hier gezeigte und kaum benutzte Exemplar aus der „Grabbelecke“ eines Gebraucht-Fotohändlers, laut meiner Erinnerung für etwa 20 Euro.

Beispielfotos

Alle Beispielaufahmen entstanden freihand, wurden gespeichert als CR2, gewandelt mit Adobe Camera RAW und bearbeitet mit Photoshop CS6. Bildausschnitt, Helligkeit, Farben, Lichter / Schatten sowie Schärfe wurden korrigiert, die Größe wurde auf 1500 Pixel bikubisch verkleinert. In alle Aufnahmen sind 100%-Ausschnitte einmontiert sowie die Aufnahmeparameter.

Fazit

Das Tamron 75-300 LD werde ich solange an der 5D verwenden, bis ich ein besseres Objektiv finde. Die EOS 5D mit 12,8 Megapixeln fordert das Objektiv nicht zu stark, es stammt zwar aus der analogen Ära, aber es tut seinen Dienst nicht so schlecht wie von mir befürchtet. Für 20 Euro Einstandpreis war es durchaus kein Fehlkauf. Zwar ist es laut und fokussiert recht gemächlich, außerdem hat es keinen eingebauten Bildstabilisator, aber die wesentlich verbesserten Nachfolgemodelle sind mir schlicht zu teuer. Welchen Sinn macht es, eine Kamera gebraucht für einen „schmalen Euro“ zu erwerben und dann weit über 100 Euro in ein dazu passendes Objektiv zu investieren?

Christian Zahn

 

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben