Blendgranaten

Blendgranaten sind Sprengkörper, die einen lauten Knall mit einem extrem hellen Lichtblitz kombinieren. Sie werden von Militär und Spezialeinheiten der Polizei verwendet, um Gegner kurzzeitig orientierungslos zu machen, ohne sie zu verletzen oder gar zu töten.

Ich halte mich ja normalerweise mit militärischen Metaphern sehr zurück - aber in diesem Fall passt es einfach zu gut: Bei manchen Produkten wird in der Werbung ein derartiges Feature-Feuerwerk abgebrannt, dass der etwas weniger gut informierte Interessent die Orientierung verliert und die wirklichen Schwachstellen nicht mehr erkennt. Das böse Erwachen folgt dann spätestens beim ersten Ausprobieren. Je nach persönlichem Naturell wird man sich den Verkäufer danach vorknöpfen - oder den Fehlkauf schamhaft in der Schublade verschwinden lassen. Manche lösen diese peinliche Erkenntnis (kognitive Dissonanz genannt) auch dergestalt, dass sie sich das Produkt schönzulügen versuchen.

Damit Sie erst gar nicht in so eine Situation kommen, habe ich in diesem Artikel einige der beliebtesten Tricks zusammengestellt, mit denen Digitalkamerahersteller versuchen, Ihre Produkte begehrenswerter erscheinen zu lassen, als sie eigentlich sind.

Auslöser für diesen Artikel war die sensationell aufgeblasene Protax DC500T. Sie hat mich auf die Idee gebracht, einmal ein paar Sätze über Ehrlichkeit in der Digitalkamerawerbung zu schreiben. Dabei fällt natürlich auf, dass die Prosa auf den Kartons und Flyern umso blumiger wird, je lausiger das beschriebene Produkt ist und je obskurer der (angebliche) Hersteller. Allein der inflationäre Gebrauch des Wortes „professionell“ sollte alle Alarmglocken schrillen lassen – vor allem bei Produkten, die ganz bestimmt keine Profis als Zielgruppe haben.

Glücklicherweise sind bei Digitalkameras nur ganz selten Angebote anzutreffen, die hart an der Grenze zum Betrug sind. Ein schönes Beispiel ist die bereits erwähnte Protax (die es auch mit Canon-Schriftzug gab), bei der Metallklötze im Gehäuseinneren das fehlende Gewicht von Technik und Optik kompensieren müssen. Außerdem enthält die Kamera eine Optikeinheit, die beim Einschalten motorisch ausgefahren wird. Dabei bleiben allerdings Linse und Sensor unverändert beisammen – kein Wunder bei einer Fixfokus-Kamera.

Design-Tricks

Hier geht es weniger um den Karton drumherum, sondern um das Design der Kamera. Die meist fernöstlichen Hersteller lassen sich dabei sehr gerne von Designelementen hochwertiger Kameras inspirieren. Diese haben bei ihrem Produkt zwar keinerlei Funktion, suggerieren aber auf den ersten Blick, es mit einem wesentlich hochklassigeren Modell zu tun zu haben.

Besonders beliebt ist ein ausladendes Gehäuse, das manchmal sogar direkt eine bestimmte Kamera imitiert - so wie ganz oben die Protax, die ziemlich unverschämt den Look von Minoltas Z-Familie nachahmt. Ansonsten bietet sich vor allem das Objektiv für Schummeleien an. Eine Fixfokus-Einfachstkamera hat nunmal eine Frontlinse von wenigen Millimetern Durchmesser. Eine kunstvolle Objektivattrappe vorne dran erzeugt dann den Eindruck, dass hier eine Optik mit ordentlichem Durchmesser zu Werke geht. Wenn das noch nicht reicht, kann man vorn noch eine Fensterglasscheibe anbringen, die wie eine Frontlinse wirkt.

Einen ähnlichen Effekt kann man auch noch günstiger erreichen: Software ist deutlich billiger zu entwickeln als Hardware und vor allem kostet sie bei jeder einzelnen gefertigten Kamera dann nichts mehr. Kein Wunder also, dass sich die Hersteller teilweise recht viel Mühe mit dem Menü und den Einstellmöglichkeiten geben. So wirkt die Kamera auf den ersten Blick nicht nur gut verarbeitet, auch die Bedienung ist ziemlich "rund". Dass das für die aufgenommenen Bilder leider nicht gilt, ist auf dem mäßig auflösenden Bildschirm nicht zu sehen und fällt daher erst nach dem Kauf auf.

Zoom-Tricks: Was ist das Gegenteil von digital?

Bei einer digitalen Kamera sollte doch sicher auch der Zoom digital sein, oder? Wer will schon eine digitale Kamera mit analogem Zoom? Vielen Käufern dürfte nicht kler sein, dass das Gegenstück in diesem Fall ein optischer Zoom ist - und damit der einzig "echte".

Die Angabe eines digitalen Zoomfaktors ist hingegen einfach nur ein Ärgernis. Vorzugsweise Kameras mit fester Brennweite oder bescheidenen 3-fach-Zoomobjektiven stoßen damit scheinbar in die Leistungsklasse teurer Superzoom-Modelle vor. Dass bereits ein vierfacher digitaler Zoom die nutzbare Auflösung auf ein sechzehntel der Sensorauflösung schrumpfen lässt und eine 16-Megapixel-Kamera damit zu einem Ein-Megapixel-Spielzeug mutiert, dürfte vielen Käufern nicht bewusst sein. Zumal die Kameras ja trotzdem Bilddateien mit der Nominalauflösung ausspucken, die halt nur komischerweise alle ziemlich flau aussehen. Heutige zoomstarke Kameras haben diese Spielchen nicht mehr nötig – dafür sind es nun die typischerweise zoom-losen Smartphones, die sich mit einem digitalen Zoom schmücken.

Auflösungs-Trick: Interpolation

Glücklicherweise weitgehend verschwunden ist die Unsitte der „interpolierten Auflösung“. In den meisten Fällen wurde damit eine Bildauflösung erreicht, die der Sensor bei weitem nicht hergibt. Dafür kann man sie werbewirksam auf den Karton schreiben. Man kann für derart hochskalierte Bildchen mit etwas Mühe sogar einen Nutzen herbeifabulieren, in den allermeisten Fällen sind sie aber schlicht Speicherverschwendung und das werbetechnische Gegenstück zum Digitalzoom. Optimal anzuwenden ist die Kombination aus beidem: Der vierfache Digitalzoom in Verbindung mit zweifacher Auflösung per Interpolation ist ein Garant für digitale Fotos von wahrhaft erlesener Qualität und Schönheit.

Entwackler-Tick: Digital stabilisiert

Und wo wir schon bei digitalen Helferlein sind: Für scharfe Bilder bei wenig Licht ist ein Bildstabilisator ein fast unverzichtbares Hilfsmittel – vor allem wenn die Optik lichtschwach und der Bildsensor winzig geraten ist. Fein, wenn man ein oberklassiges Modell hat, das anstelle einer altmodischen optischen Konstruktion auf einen digitalen Stabilisator zurückgreifen kann. Oder?

In Wahrheit sind die digitalen Stabilisatoren allesamt billig zu realisierende Tricksereien, die in der Praxis fast keinen positiven Effekt haben. Angefangen beim „Scheinstabilisator“, bei dem es sich um nichts weiter als eine Kameraeinstellung mit höherem ISO-Wert und damit reduzierten Belichtungszeiten handelt. Dass dieses Verfahren meist wüstes Bildrauschen mit sich bringt, braucht man ja nicht auf den Karton zu schreiben. Etwas näher an einen richtigen Stabilisator kommen Verfahren, bei denen die Kamera zwei Aufnahmen hintereinander macht: Eine scharfe unterbelichtete und eine verrauschte und verwackelte, dafür aber normal belichtete. Ein trickreicher Algorithmus vermauschelt dann die beiden Bilder, so dass das eine die Konturen und das andere die Farben und die Lichtstimmung liefert. Das funktioniert ähnlich gut wie Homöopathie: Man muss auch ein wenig daran glauben, damit es hilft. Davon abgesehen muss die Kamera ziemlich lange ruhig gehalten werden und der Bildstabilisator ist typischerweise nur ein Szenenmodus der Kamera und damit mit keiner anderen Einstellung kombinierbar – ganz im Gegensatz zu den aufwendigen optischen Systemen.

Bildschirm-Trick: Von Pixeln und Subpixeln

Von Notebooks und Smartphones ist man gewohnt, dass die Auflösung in Höhe und Breite separat angegeben wird. Dabei besteht jedes Pixel aus drei Subpixeln in den drei Farbkomponenten rot, grün und blau. Bei Digitalkameras erfährt man immer nur die Gesamtzahl der Subpixel. Rechenbeispiel: Ein Bildschirm mit 180.000 Pixeln hat pro Farbe nur 60.000 Pixel und das macht bei einem Seitenverhältnis von 3:2 gerade mal wenig imposante 300 x 200 Pixel und damit weniger als bei Heimcomputern in den 80er Jahren üblich war. Und das war bis vor ein paar Jahren schon eine respektable Auflösung. Man konnte auch Displays mit 60000 Subpixeln bekommen, was grob überschlagen traurige 160x120 Pixel ergibt.

In diesem Fall von Schummelei zu sprechen, wäre etwas übertrieben. Hier hat sich einfach eine für den Kunden schwer zu durchschauende Größenangabe etabliert. Kein Hersteller wird davon freiwillig abrücken, solange die anderen das nicht ebenfalls tun. So bleibt für uns Konsumenten nur, sich immer wieder klarzumachen, dass ein aktuelles Handydisplay mit Full-HD-Auflösung bei Verwendung in einer Digitalkamera als "6 Mio. Pixel" angegeben würde - was meines Wissens derzeit keine Digitalkamera auch nur ansatzweise erreicht.

Beispiele

Zumindest fragwürdig waren die unzähligen Minimalkameras, für die fernöstliche Elektronikhersteller komplette Sets aus Elektronik, Winz-Display und Sensor lieferten. Drumherum wurde dann so allerhand gebaut – von der zumindest witzig anzuschauenden Pen-Kamera bis hin zu üppigen Plastikgebilden mit viel Leerraum. Ein paar dieser Kameras habe ich auf dieser Homepage bereits beschrieben:

UMAX AstraPix 320S

Commodore Pen Cam 16

Logitech ClickSmart 310

Polaroid PhotoMAX Fun! Digital 320

JVC GC-A50

Der Niedergang einfacher Kompaktkameras hat auch die blumigsten Auswüchse der Verpackungsprosa weitgehend verschwinden lassen. Ein paar schöne Exemplare dieser Kategorie haben den Weg in die Sammlung gefunden:

Fuji MV-1

Digigr8 1.3M Pixels

Polaroid PDC 3030

Protax DC500T

eTech DIG-700XS

Es gibt aber auch aktuelle Beispiele. Derzeit (März 2018) ist beispielsweise die "Amkov AMK-R2" bei Ebay und auf anderen Handelsplattformen im Angebot. Dieses schöne Stück kombiniert gleich mehrere der zuvor beschriebenen Tricks und hat daher einen eigenen Bericht bekommen.

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