Der schönste Flohmarktfund des Jahres!

Sentimentalität vom Flohmarkt mit Nutzeffekt! Im Gedenken an meinen Vater. In irgendeinem Schuhkarton mit hunderten SW Familien-Fotos erinnere ich mich an ein Bild, wo der fotobegeisterte Vater in den Beginn der 1950er Jahre vor meiner Geburt eine leider nicht sicher zu idendifizierbare Praktica umhängen hat. Die Praktica vom Flohmarkt könnte das Modell gewesen sein, das mein Vater hatte. Laut Seriennummer – 00054 – müsste das die zwischen 1949 bis 1950 gebaute 54. Praktika sein. Auch wenn das vor meiner Zeit war, ich bin (19)54 geboren! Schöne Parallele. Aber bis ich die Seriennummer gefunden hatte. Tatsächlich wurde sie nicht aufs Kameragehäuse gedruckt, gestanzt, graviert, sondern ins Leder der Rückwand geprägt. Bis ich das gefunden und per iPhone abgelichtet hatte …

Nach der Sentimentalität jetzt noch der Nutzen: das lichtstarke Meyer Optik Görlitz Primoplan 1:1.9/58 V! Auch das passt zeitlich von der Seriennummer. Dieses Exemplar an Primoplan wurde ab 1950 gebaut. Das lichtstarke Primoplan wird für Größenordnung 200 Euro in der Bucht angeboten! Der Nach-/Neubau kostet sogar 899 Euro. Was für ein Vergnügen, für die funktionierende Praktica samt Primoplan 35 Euro gegeben zu haben! Derartige Schätze kauft man nach Funktions- und Linsenpilzkontrolle nur auf dem Flohmarkt! Und dann ab mit dem wunderbaren Altglas auf die Nikon Z6!

Zum Meyer-Optik Görlitz Primoplan 1:1.9/58 V

Dem fünflinsigen Primoplan 1,9 58 mm wird ein „Spitzen-Bokeh“ bescheinigt. Seine Nahgrenze liegt bei ca. 70 cm. Die stufenlose Blende aus 14 Lamellen (mit Blendenvorwahl) reicht von 1,9 bis 22. Es wurden Objektive mit M42 Schraubgewinde und mit dem Bajonett der Ihagee Exakta hergestellt.

Auf der Internetseite Zeissikonweb.de gibt es eine tolle Abhandlung übers Primoplan!

Ein Ausschnitt:

"Zu den frühesten Exemplaren dieser hochlichtstarken Objektive gehört das Primoplan, das Paul Schäfter für die Optische Anstalt Hugo Meyer im schlesischen Görlitz errechnet hatte. Auf jeden Fall dürfte es das erste hochlichtstarke Normalobjektiv für die Kleinbildspiegelreflex gewesen sein, denn es existiert eine Gebrauchsmusterschutzanmeldung vom 17. Juni 1936 (D.R.G.M. Nr. 1.387.593)."

"Es fällt auf, daß für damalige Verhältnisse ausnehmend hochbrechende ("schwere") Glassorten Verwendung fanden. Die Brechzahlen liegen allesamt deutlich über 1,6. Dabei sind nur für die Linse Nummer 2 die Zahlenwerte für Brechung und Dispersion vollkommen identisch mit den Angaben im Schott'schen Glaskatalog. Es könnten für die restlichen Elemente also auch Gläser einer anderen Glashütte verwendet worden sein. Da die Abweichungen aber minimal sind, kommen für die Linsen 1 bis 5 folgende Jenaer Glassorten infrage: Schwerstkron SSK 5, Schwerflint SF 12, Schwerkron SK 10, Schwerflint SF 8 und Schwerstkron SSK 2."

"Nur kurze Zeit vorher war die Kiné Exakta vorgestellt worden. Offenbar arbeitete das Ihagee Kamerawerk Steenbergen damals sehr eng mit dem Görlitzer Objektivhersteller zusammen, weil das Primoplan schon frühzeitig zur Verfügung gestanden zu haben scheint – offenbar schon Monate vor dem Jenaer Biotar 2/58mm! Bereits in ersten Prospekten zur Kiné-Exakta aus dem Jahre 1936, in denen sie noch die runde Einstelllupe trägt, ist nämlich diese neuartige Kamera mit dem Primoplan abgebildet. Dabei jedoch handelt es sich freilich noch nicht um dasjenige Objektiv, das dann später in großen Stückzahlen bis in die späten 1950er Jahre geliefert werden wird. Denn wie man aus der obigen Prospektabbildung erkennen kann, lag die Brennweite anfänglich noch bei 5 Zentimetern. Bei dieser frühen Ausführung, von der nur wenige Exemplare existieren, ragte die Rücklinse noch weit aus der hinteren Fassung heraus, was anhand der Bilder von Garry Cullen gut ersichtlich ist. Bei den Primoplanen mit 5 und 5,8 Zentimetern Brennweite handelt es sich also unverkennbar um verschiedene Objektive."

"Bezüglich des Erscheinens des bekannten 58er Primoplans gibt es aber eindeutige Nachweise aus der Literatur. Demnach ist dieses lichtstarke Normalobjektiv zusammen mit einer Reihe weiterer Meyer'scher Normal- und Wechselobjektive für die Kiné-Exakta spätestens im Zuge der Frühjahrsmesse 1937 herausgebracht worden. Die Aussage, Meyer-Optik habe damals ausgesprochen eng mit der Ihagee kooperiert, wird auch dadurch bekräftigt, daß diese Firma eine Version des hauseigenen Tessartyps "Primotar 3,5/5,4 cm" an die Ihagee lieferte, die jenes unter eigenem Markenzeichen "Exaktar" als preiswertestes Standardobjektiv (ganze 20,- Reichsmark weniger) im Angebot führte. Eine frühe Form des heutzutage üblichen "Original Equipment Manufacturing (OEM)" also. Mit diesem lichtstarken Primoplan jedoch, das offenbar zeitgleich mit dem Jenaer Biotar auf dem Markt erschien, wurde Hugo Meyer in Görlitz nun endgültig zu einem ernsthaften Konkurrenten für Zeiss Jena."

"Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem allmählichen Wiederaufbau der Photoindustrie begann im vormaligen Mitteldeutschland der Siegeszug der Einäugigen Kleinbildspiegelreflexkamera. Forciert durch die Sowjetische Besatzungsmacht wurden Vorkriegsmodelle wie die Exakta und die Praktiflex weitergebaut, oder Neukonstruktionen wie die Spiegelcontax herausgebracht. Für diese hochwertigen, sehr exportträchtigen Kameras wurden sogleich auch wieder leistungsstarke Objektivausstattungen benötigt. So wurde auch das Primoplan Schäfters frühzeitig wieder fabriziert, obwohl es, wie oben gezeigt, auf ausgesprochen schweren (= hochbrechenden) Gläsern basierte, die zu keiner Zeit billig waren. Da sich mit lichtstarken Objektiven aber auch die Exportchancen verbesserten, waren solche Objektive unverzichtbar. Insbesondere in den USA, wo sich während des Krieges ein großer Nachfragestau aufgehäuft hatte, der jetzt abgebaut werden wollte, waren die Absatzmöglichkeiten hochwertiger Photogeräte anfänglich besonders groß. Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß das recht dunkle Sucherbild der Contax S erst bei größeren Lichtstärken des Objektivs wirklich brauchbar wurde."

"Im Laufe der 50er Jahre war das Primoplan 1,9/58mm dann immer öfter im Inlandshandel der DDR anzutreffen. Es war ehrlich gesagt nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Anders als sein Zeitgenosse, das Biotar 2/58, wurde das Primoplan nicht mit einer Springblende ausgerüstet. Grund dafür könnte ein merklicher Hang zur sogenannten Blendendifferenz gewesen sein. Restbeträge von sphärischer Aberration sorgen dafür, daß die "Stelle der kleinsten Einschnürung" entlang eines charakteristischen Lichtschlauches ("Kaustik") wandert, wenn man abblendet und damit das Ausmaß dieses Kugelgestaltsfehlers verringert. Das führt schlichtweg dazu, daß die Punkte der größten Schärfe bei offener Blende und abgeblendet jeweils nicht an derselben Stelle liegen, was bei Objektiven mit Blendenautomatik besonders ungünstig ist." Quelle: Zeissikonweb.de

Nikon Z6

Nikon Z50

Erster Qualitäts- und sonstiger Eindruck

Alles nur eine Frage von Brennweite, Blendeneinstellung und späterer Wahl des Ausschnitts: "Müllboxen-/Vorgartenromantik" mit fast reifer Aronia (Apfelbeere). Augenommen mit dem Primoplan bei Blende f/2,8 oder f/4. Da gibt es nichts zu kritteln. Und weil das Primoplan so viel Freude macht, ging es mit ins Gepäck für die Herbstferien. Statt die Landschaft mit dem sehr guten 24-50 mm Nikon Z Kitzoom aufzunehmen, wurden die Brennweitenenden mit zwei fast gleichen Festbrennweiten abgebildet. Eben dem besagten 58 mm Primoplan und einem Carl Zeiss Jena Flektogon 4/25 mm. Um "outdoor" keine Objekive wechseln zu müssen. Aus einem simplen Grund, der im Beitrag "Spiegellos: Segen und Fluch" und "24-250 mm mit zwei Objektiven und zwei Kameras …" beschrieben wurde. Auf der Nikon Z50 wird das 1,9/58 mm Primoplan zum interessanten 1,9/87 mm!

Weitere Beispielfotos mit dem 58 mm Primoplan auf der Nikon Z6

Finaler Eindruck

Wie schon beim Carl Zeiss Jena Flektogon 4/25 mm geschrieben: Ein weiteres Altglas mit Charme!

Dessen Abbildungsleistung zwischen knackscharf und je nach Licht, Lichtrichtung starken Überstrahlungen pendelt. Von mir erhofft, gewollt! Für eine gewünscht perfekte Abbildung auch bei diffusem Streulicht gibt es ja modernes Glas! Und was – Achtung Forensprech – eventuell fehlenden Mikrokontrast angeht? Leute, geht doch einfach auf die Jagd nach passenden Motiven … Auch wenn der Kameracomputer von Z50, Z6 mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim ungekoppelten Meyer-Optik Görlitz Primoplan 1:1.9/58 V den einen oder anderen Fehler (Randabschattung) wie im Beitrag "Können Systekameras zaubern?" beschrieben ungewollt rausrechnet, dürfte die Charakteristik des möglicherweise 70 Jahre Jahre alten Objektivs nicht ganz verloren gegangen sein. Wobei ich noch dabei bin das Bokeh des Primoplans zu suchen und zu entdecken ;-) Wobei das Foto mit der noch ganz jungen Birke (?) mit dem Herbstlaub die Richtung zeigt: "Swirl-/Verwirbel-Bokeh" …

Ralf Jannke

 

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