Altglas Kanon Bokeh

Im Unterschied zu "Christian Zahns Manuellfokus-Objektivkanon 2022 an der Nikon Z5" verfolgt mein Altglas-Kanon eine völlig andere Philosophie. 

Christian Zahn besteht für seine Zwecke — unter anderem Dokumentation verschwindender Industrie samt den dazugehörigen Bauten — auf höchste Abbildungsschärfe bis in die Bildecken. Mich fasziniert an (ur)alten Objektiven das Unvollkommene. Sonst kann ich gleich mit modernem (Autofokus) "Glas" losziehen! Natürlich muss beim Altglas eine gewisse Grundschärfe fürs Hauptmotiv da sein, aber der Rest — besonders die Unschärfebereiche vor und nochmehr hinter dem Hauptmotiv — soll unauffällig oder gewünscht auffällig sein – das so genannte Bokeh.

Die Art der Unschärfe hängt unter anderem von diesen Faktoren ab:

  • Brennweite
  • Aufbau des Objektivs (Anzahl Linsen)
  • Lichtstärke, Stärke der Abblendung, Aufbau (Anzahl der Lamellen) und Form der idealerweise kreisrunden Öffnung der Irisblende im (leicht) abgeblendeten Objektiv
  • Motivabstand
  • Abstand zum Hintergrund und Struktur des Hintergrunds
  • Lichtmenge und -richtung

Gewünschtes, gefälliges Bokeh

Dieses Bokeh, diese ruhige, strukturlose Hintergrundunschärfe, die von nichts ablenkt, wird von vielen Fotografen bevorzugt. Erstaunlicherweise hat sie in diesem Fall ein Objektiv mit nur drei Linsen geschaffen, das "FEINMESS DRESDEN Bonotar 1:4,5/105 V" aus Mitte der 1950er Jahre. Geschichte hier

Seifenblasen- und Swirl-Bokeh

Andere Dreilinser erzeugen dagegen ein ganz anderes Bokeh. Das kann man als störend, unruhig oder einfach fröhlich als "Seifenblasen"-Bokeh bezeichnet. Dazu gesellt sich noch eine weitere Art von Unschärfe außerhalb der Fokus-Ebene. Der unscharfe Hintergrund scheint sich regelrecht um die nur scharfe Motivmitte (bei vermutlich Offenblende f/2) zu drehen. Dann spricht man von Wirbel- oder Swirl-Bokeh.

Bildfehler und Überraschungs-Bokeh

Und dann gibt es noch Überraschungen durchaus netter Bildfehler und softe, weiche Unschärfe. Mir fiel keine bessere Bezeichnung ein …

  • Links: Meyer-Optik Görlitz Primagon 4,5/35. Vier Linsen, Baujahr Mitte 1950er Jahre. Beschreibung hier.
  • Rechts: Sigma XQ 1:3,5/200 mm. Soll von 1977 sein, Aufbau unbekannt. Ausführliche Beschreibung hier.
  • Zweite Reihe Vivitar Series I 35-85MM 1:2.8 AUTO VARIABLE FOCUSING, Offenblende f/2,8

Aktuell – Stand Herbst 2022 – sieht mein Altglas Bokeh Kanon so aus:

  • Nikon NIKKOR 20 mm 1:3.5 – durch die zerkratzte Front- und Hinterlinse ein "Traum-/Weichzeichner"!
  • Carl Zeiss Jena Flektogon 4/25
  • Meyer-Optik Görlitz Primagon 3,5/35
  • Nikon NIKKOR-NC Auto 1:1.4 f=35mm
  • Meyer-Optik Görlitz Trioplan 2,9/50
  • Helios-44 2/58
  • Vivitar Series I 35-85MM 1:2.8 AUTO VARIABLE FOCUSING
  • Sigma XQ 1:3,5/200 mm

Und der Bereich 85, 105, 135 mm? Da bin ich noch nicht schlüssig! Die Gesamtanzahl Objektive soll unter 10 bleiben!

Wobei dann nach kurzem Nachdenken das "Vivitar Series I 35-85MM 1:2.8 AUTO VARIABLE FOCUSING" mit da rein muss! Egal welche Brennweite: Bei Offenblende f/2,8 bis maximal f/4 ist das Vivitar ein begnadeter Weichzeichner!

Nicht im Altglas Bokeh Canon ist beispielsweise das Asahi Opt. Co. Super-Takumar 1:3.5/35. Ein "Langweiler" im absolut positiven Sinn. Das bald 60 Jahre alte und superkompakte 35er liefert auch heute eine sehr gute Abbildungsqualität.

Nikon NIKKOR 20 mm 1:3.5, 1979

Nie würde ich es übers Herz bringen, dieses schwer misshandelte 20er einfach zu entsorgen! Es hat mir im Herbst 2020 auf der Halbformat Nikon Z50 durch die lädierte Front- und Rücklinse "gratis" eine Extra-Portion Herbstdunst geliefert. Da der Schaden in der Objektivmitte liegt, ist Abblenden kontraproduktiv. Die Schärfe geht dann in die Knie, was vielleicht auch reizvoll sein kann. Muss ich noch intensiver probieren …

Carl Zeiss Jena Biogon 4,5/25 auf der 24 MP Vollformat Nikon Z6

Und nochmal Herbst – mit dem Biogon 25 mm Superweitwinkel. Auch hier "Gratis"-Herbstdunst. Ob man bei dem Hintergrund von Bokeh sprechen kann, lass ich mal offen. Die Fotos sind mit Offenblende f/4,5 entstanden. Für mich hat die Abbildung einen gewissen Reiz. Soll es knallscharf sein, käme halt das 24-50 Kitzoom auf die Z6. 

Bis auf das oben gezeigte 20er Nikkor liefern ALLE anderen vorgestellten Objektive bei Blende f/8, f/11 abbildungsscharfe Fotos! Auch das Carl Zeiss Jena Biogon 4,5/25. Wenn man das sehr streulichtempfindliche Objektiv genau ausrichtet! Die Bokeh-Effekte sind bei Offenblende am ausgeprägtesten. Spätestens bei zwei, drei Stufen Abblendung sind die schönen und gewollten Effekt verschwunden!

Adaptiert wird bei mir auf

  • microFourThirds (13 x 17 mm Sensor, Cropfaktor 2), bevorzugt die 16 MP Olympus OM-D E-M5 mit ihrem stabilisiertem Sensor und einer brauchbaren Sucherbild-Lupe/Vergrößerung zum manuellen Fokussieren
  • die spiegellosen Halbformater mit 15 x 23 mm APS-C Sensor, Cropfaktor 1,5 und 16 MP Aufösung Fuji X-E1/X-E2 und demnächst X-T10
  • und die 20 MP Halbformat Nikon Z50 und die 24 MP Vollformat Z6.

Bis auf Ausnahmen sind für alle Systeme über die Zeit Adapter für die wichtigsten Kamera-Bajonette zusammengekommen. Inklusive ein paar Exoten, die dann nicht in allen der drei spiegellosen Formate zur Verfügung stehen.

Nachtrag

Domiplan auf der Olympus OM-D E-M5

Nicht jeder hat das Glück ein Original Meyer-Optik Görlitz Trioplan 2,9/50 V samt Praktika für zusammen 10 Euro in einer Secondhand-/Trödel-Scheune zu finden. Von dem Nachbau-Irrsin für fast 900 Euro ganz zu schweigen …

Aber es gibt eine tolle und ebenfalls preiswerte Alternative!

In Form des Meyer-Optik Görlitz Domiplan 2.8/50, was Christian Zahn auf der 24 Megapixel Vollformat Nikon Z5 ausprobiert hat. Das "blubbert" praktisch genauso schön, macht genauso schöne "Seifenblasen" wie das Trioplan. Wer zum Spielen das Domiplan schnell möchte, wird für Größenordnung 30 Euro bei eBay fündig. Ansonsten heißt es "Augen auf" beim Flohmarkt! Etliche Domiplans werden als defekt deklariert, womit vermutlich in den meisten Fällen vermutlich der träge, klebende, hakende (?) Blendenmechanismus gemeint ist. So muss ich bei meinem Exemplar nach einen Foto mit Bende f/11 die Blende von Hand auf Offenblende zurückdrehen. Was mir egal ist, da für die schönen "Bubbel-Effekte" bevorzugt mit Offenblende fotografiert wird … Wie das Trioplan ist das in großer Zahl gebaute Domiplan ein einfacher Dreilinser. Das Meyer-Optik Görlitz Domiplan 2,8/50 ist ca. 40 mm lang, Filterdurchmesser 30,5 mm (Baujahre 1960-1967) oder 49 mm (1967-1979). Gewicht 143 g. Nahdistanz 0,75 m. Die Blende kann in halben Stufen von f/2.8 bis f/22 geschlossen werden. Die Blende besteht aus 6 Lamellen. Es gab das Domiplan mit M42 Schraubanschluss und Exakta-Bajonett. Meine Version kam mit Exakta-Bajonett.

Dazu ist noch folgendes zu sagen, wenn man sich über die roten Markierungen im Foto und den merkwürdigen Drahtauslöser gewundert hat. Der kam mit dem Domiplan und wurde fürs Foto montiert. Um eine Exa/Exakta auszulösen muss der von vorne gesehen rechts vom Bajonett auf der Frontseite positionierte Auslöser gedrückt werden. Diese Position nutzte man bei Auslegung der Objektive fürs Exakta- (und Topcon-) Bajonett. Durch Betätigung des Hebels auf dem Objektiv wird die Blende auf die eingestellte Blende geschlossen und beim kompletten Durchdrücken dann die Exa/Exakta ausgelöst. Und diese merkwürdig anmutenden "Ausleger" waren unterschiedlich gestaltet. Beim einmontierten Carl Zeiss Jena Biogon 4,5/25 lässt sich dieser Druckhebel arretieren. Ich fotografiere in diesem Fall mit Arbeitsblende. Was beim Einsatz auf der spiegellosen Systemkamera vorteilhaft ist. Fotografiere ich mit dem Domiplan auf der DSLM kann ich zwar jede kleinere als Offenblende einstellen. Ich fotografiere aber immer mit Offenblende, wenn ich zusätzlich zum Auslösen der DSLM nicht vorher den Hebel am Domiplan drücke und während der Auslösung gedrückt halte. Das lässt sich durch Montage des Drahtauslösers umgehen, vorausgesetzt der Drahtauslöser hat einen Feststellmechanismus. Sieht blöd aus, funktioniert aber einwandfrei!

Abgesehen davon: Wie oben schon geschrieben – wenn Seifenblasen-Bokeh erwünscht ist, muss eh mit Offenblende fotografiert werden. Dann spielt der spezielle Exakta-Blendenmechanismus keine Rolle. An der Schärfeleistung des simplen Dreilinsers ist von meiner Seite nichts zu bemängeln. Nikon Z50, ISO 1000, nicht entrauscht, Zeitautomatik, 1/200s

Ralf Jannke, Herbst 2022

 

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