Henne oder Ei? Wer war zuerst da? Apple, Chinon, Kodak oder Apple, Kodak, Chinon oder Chinon, Apple, Kodak oder…

Nachdem unlängst die unkomplette Apple QuickTake Sammlung mit der fehlenden Quicktake 100 vervollständigt wurde, war das ein guter Grund, nochmal in die frühe Digitalkamerageschichte zu schauen. 

Der eigentliche Anlass war aber die im Apple Quicktake 100 Beitrag neben der Kodak DC40 nochmals gezeigte Logi Fotoman Pixtura. Dabei brachte die Google-Suche ein paar interessante Details zutage. Nicht nur zur Pixtura, sondern auch zu den Klons Apple QuickTake 100/150, Kodak DC40 und – vollkommen unterschätzt – Chinon. Je mehr es in die Tiefe ging, desto spannender wurde es!

LOGI(TECH) FOTOMAN Pixtura

Computermaus- und Handscanner-Produzent Logitech versuchte 1991 mit seinem Schwarzweiss-Fotos aufzeichnenden Logi Fotoman auf dem Konsumermarkt Fuss zu fassen. Dem Fotoman haben wir den Beitrag „Als die Pixel laufen lernten: Der 0,1 MP Logitech Fotoman“ gewidmet. Die Kamera war ein Flop.

1991 hätte man eine Digitalkamera als „Lösung“ anbieten müssen. „Lösung“ für Gutachter, Architekten, die schnell vom Unfallschaden oder der Baustelle etwas dokumentieren wollten, wo die Kosten – 1991 2000 DM/1000 Euro – für die Kamera nur eine untergeordnet Rolle spielten. Die Kamera im Fotofachhandel anzubieten, war ein Fehler. Auch Logis zweiter Versuch 1996 in Form des Logi Fotoman Pixtura war ein Flop. Die Kameras verschwanden schneller vom Markt als sie gekommen waren.

Der hier nachzulesende Beitrag von ChannelPartner 1996: "Logitech zieht Digitalkamera aus dem Vertrieb: Zweiter Fehlschuß in Folge" bringt Erstaunliches nicht nur über die Pixtura zu Tage!

Angeblich hatte Logi die Vermarktung (der Pixtura) zwischenzeitlich Kodak überlassen. Kodak hätte bis dahin keine Erfahrung in Konstruktion und Produktion von Digitalkameras gehabt, wollte aber in den Digitalkameramarkt rein. Die Kamera (gemeint war die Kodak DC40) wäre völlig baugleich mit der Pixtura, die Technik von Logi. Man hätte einfach lizenziert und verdiene jetzt an jeder Kamera mit, die Kodak verkauft.

Was von der deutschen Kodak AG vehement und zu Recht bestritten wurde, wie Logi dazu käme, eine derartige Aussage zu treffen.

Kodak DC40 vs. LOGI(TECH) FOTOMAN Pixture

Zeitstrahl Apple, Chinon, Kodak

  • 1994 APPLE QUICK TAKE 100
  • 1995 APPLE QUICKTAKE 150
  • 1995 CHINON ES-3000 (auch als Dakota DCC-3500, Dycam 10-C, Kodak DC-50 Zoom, alles Chinon OEM!)
  • 1995 KODAK DC 40
  • 1995 KODAK DC-50 ZOOM (auch Promaster DigitalOne, Quantaray/Ray Enterprises/Ritz DCC-9500)
  • 1995 LOGITECH  Fotoman Pixtura
  • 1996 CHINON ES-1000 (Kodak DC-20)
  • 1996 KODAK DC20 (Chinon ES-1000)

Die Zahlen sind von der Internetseite DigiCamHistory.Com unseres wackeren Mitstreiters Rodger L. Carter.

Rodger präsentierte als erster weltweit Digitalkameras, die nur wenige Leute je zu Gesicht bekommen haben! Ein Besuch dort ist Pflicht, wenn es um die Kindertage der filmlosen Fotografie geht! Mit seiner Erlaubnis "leihen" wir uns gelegentlich Fotos seiner Seite.

Ein Blick auf die obige Ahnentafel der Digitalkameras läßt die Aussagen der Kodak AG dann aber in einem anderen Licht erscheinen. Der Urahn dieser Produkte stammt von Apple, die QuickTake 100 und 150. Diese wären eine Kooperation von Apple und Kodak gewesen. Was richtig ist, weil Kodak seine DC40 erst nach den beiden Apple QuickTake-Modellen 100/150 auf den Markt brachte. Aus der Angst, sich mit einer Digitalkamera den Markt für analoge Kameras zu kannibalisieren. Zu Recht, wie man heute weiss. Von Kodak ist nur noch der große Name übrig geblieben. Wobei Kodak seinen Untergang selbst verschuldet hat, was in der großartigen ZDF-Dokumentation "Firmen am Abgrund Das Foto-Unternehmen Kodak" zu sehen ist. 

Kodak wie Logitech reklamierten das technische Know-how der ersten Digitalkameras für sich. Ein Branchenkenner soll seinerzeit berichtet haben, dass sich hinter der ganzen Digitalkamera-Technologie (der Mitte der 1990er Jahre?) genau ein Unternehmen verbirgt: Chinon.

Chinon als geistiger Urvater und Technologieträger der digitalen Fotografie soll erkannt haben, dass es alleine den Markt nicht bedienen konnte. Zusätzliche Vertriebspartner sollten Apple und Kodak sein. Teile des ChannelPartner-Beitrags dürften der Wahrheit nahekommen. Ein unübersehbarer Fehler in dem Beitrag von ChannelPartner ist aber diese Behauptung: Unverkennbar ist die Verwandtschaft der Logi Fotoman Pixtura und der ES-3000 von Chinon.

Das ist falsch, die Chinon ES-3000 und die Kodak DC50 Zoom sind äußerlich baugleich, wie Sie weiter unten im Beitrag selbst vergleichen können. Aber der wichtige Herstellername ist gefallen: Chinon

Turmbau zu Babel

Theologen werten das Vorhaben des Menschen den Turm zu Babel zu bauen als Versuch Gott gleichzukommen. Wegen dieser Selbstüberhebung brachte Gott den Turmbau zum Stillstand, indem er die Menschen mit "babylonischer" Sprachverwirrung bestrafte. Wegen unüberwindbarer Verständigungsschwierigkeiten konnte der Turm zu Babel nicht gebaut werden. (Gen 11,7,8 EU). Von der Bibel zu vier Kameras, drei Herstellern. Keiner versteht den anderen, genauer deren Dateiformate. Drei Hersteller, drei für den anderen unverständliche Dateiformate…

Wer hat's erfunden? 1975 von Steve Sasson/Kodak als funktionierende Prototyp gebaut und 1978 patentiert

Als Mitarbeiter in den Kodak Apparatus Division Research Laboratories (KADRL) erhielt Steve Sasson nach seinem abgeschlossenen Masterstudium der Elektrotechnik 1974 den Auftrag, sich näher mit den damals neuartigen CCD-Bild-Sensoren zu befassen. Ergebnis war 1975 ein fast 4 Kilogramm schweres Monstrum und doch die erste Digitalkamera der Welt – von Kodak. Auflösung 100 x100 Pixel = 0,01 Megapixel. Das Speichern der Bilddaten auf eine konventionelle Kassette dauerte pro Bild ca. 30 Sekunden.

Und dann? Zurück auf Anfang: Chinon!

Chinon ES-1000/Kodak DC20, Chinon S-2000, Chinon ES-3000/Kodak DC50 Zoom

Bei der Chinon ES-1000 und ES-3000 gibt es keine Zweifel an der Verwandtschaft, wenn man sich die Kodak-Pendants ansieht. Eine Chinon ES-2000 hat es nicht gegeben, wohl aber eine S-2000, wozu es allerdings kein Kodak-Pendant gibt, sondern die analoge Chinon-Vorlage Handyzoom 5001. Außerdem ist die S-2000 keine digitale, aber eine filmlos, analog aufzeichnende Stillvodeokamera, vergleichbar einer Canon ION RC-250/260.

Popular Photography berichtete in seiner Mai 1990-Ausgabe:

Ingenieure von Chinon nahmen ihre analoge Handyzoom 5001 Point-and-Shoot Kleinbild-Kamera und verwendeten mehrere Komponenten der 5001 für eine filmlos aufzeichnende Kamera. Ergebnis war die S-2000, eine elektronische Stillvideokamera mit 2,7-3,8/10-20 mm zweifach Zoom, Multi-Infrarot-Autofokus und Autozoom-Funktionen. Das 16-Stufen-AF-System fokussiert von 0,8 m bis unendlich. Die Verschlusszeiten liegen zwischen 1/45 und 1/500 s. Ein 380.000 Pixel 1/2 Zoll Charge-Coupled Device (CCD) ist der Bildsensor dieser Hi-Band-Vidofloppy-Kamera. Die S-2000 sollte bis zu 10 Bilder pro Sekunde aufnehmen.

Die größte Überraschung ist der Prototyp Kodak E(lectronic)Cam(era) von 1989

Nicht nur, dass diese Kodak ein Chinon-Objektiv ziert, die rot markierte LCD-Anzeige auf der Oberseite der analogen Chinon CP-7m von 1987 mit Pentax K-Bajonett und dem digitalen Kodak-Prototypen E(lectronic)Cam(era) dürfte identisch sein. Wenn man tiefer in die Digitalkamera/Kodak-Geshichte eindringt, wird es nicht nur spannender, sondern immer offensichtlicher, dass Chinon permanent unerwähnt mit im Kodak-Boot war! Die 1948 gegründete Chinon Group war langjähriger Partner von Kodak. Auf OEM-Basis entwickelte Chinon zahlreiche Digitalkameras und Baugruppen für Kodak, die 1997 eine Mehrheitsbeteiligung von 50,1 Prozent erwarben und das Unternehmen 2004 komplett als K.K. Kodak Digital Product Center Japan Ltd. übernahmen.

Nochmal Kodak

Über 15 Jahre nach Kodaks oben gezeigtem Prototyp berichtet Don Strickland Kodaks ehemaliger Vizepräsident in den Videominuten 11:50 bis 18:00 der ZDF-Dokumentation "Firmen am Abgrund Das Foto-Unternehmen Kodak" über seine Idee einer Digitalkamera für alle. Er durfte sie tatsächlich entwickeln, aber nicht in Kodaks Hauptsitz Rochester. Sondern unter völliger Geheimhaltung in Yokohama/Japan.1992 besuchte ein Vize-Marketingchef Yokohama, um sich vom Fortschritt des Projekts zu überzeugen. Das Erreichte gefiel ihm gut. Don Strickland sollte mit einer Präsentation dem Vorstand berichten. Eine von Anfang an verunglückte Vorstellung, die mit der Frage startete, ob alle wüssten, was Strickland da eigentlich in Yokohama mache… Ergebnis seiner Präsentation waren „Giftpfeile“ und Bemerkungen wie: „Das geht gar nicht“ oder: „Ich verstehe das nicht.“ Der zweite, diesmal entscheidende Fehler Kodaks nach 1975 und Steve Sassons Prototypen. Der wurde 1978 mit Bemerkungen wie: „Das ist ja ganz nett, aber erzähl’ keinem was davon…“ patentiert, und weggeschlossen.

Nach der durchgefallenen Präsentation der neuartigen Digitalkamera zog Don Strickland die Konsequenzen. Er kündigte und ging zu – Apple. Dabei durfte er die Konzepte und Pläne der Kamera – ich nenne sie mal DC40 – mit zu Apple nehmen. Ergebnis war 1994 die von Kodak für Apple gebaute QuickTake 100/150. Warum sich Kodak dann doch entschloss die Kamera unter eigenen Label als Kodak DC40 zu vermarkten, wurde in dem Video nicht berichtet. Kein einziges Mal fiel im ZDF-Film der Herstellername Chinon!

Kodak DC50 Zoom, Chinon ES-3000 (oder auch DYCAM 10-C oder Dakota DCC-3500)

Wenn man sich die beiden Kameras genau ansieht, kann man sich leicht vorstellen, dass die Spritzgussformen für die äußeren Teile der Chinon ES-3000 und der Kodak DC 50 Zoom gleich sind. Das Kunststoffmaterial musste nur entsprechend eingefärbt werden. Vom Sensor, bei der Speicherung und beim Speicherformat unterscheiden sich die Chinon und Kodak aber erheblich. Die Chinon ES-3000 löst 640 x 480 Bildpunkte auf, die Kodak DC50 Zoom 756 x 504 Pixel. Was die Speicherkarte angeht, ist die Chinon extrem wählerisch. Nur die oben abgebildete Chinon-galabelte 8 MB Flash Memory Card und die im Chinon-Praxisbericht gezeigte 8 MB PRETEC Karte im PCMCIA-Format werden von der Chinon ES-3000 akzeptiert. Dazu gesellt sich eine wahrhaft exotische Speicherung der Fotos. Die aufgenommenen Fotos werden nämlich nicht einzeln auf der Speicherkarte abgelegt, sondern in eine Datenbank geschrieben. Nur mit Hilfe der Chinon Windows 3.x/95 Software und Anschluss der ES-3000 über den schneckenlahmen seriellen COM-Port meines uralten Windows 98 PCs war/ist an die Datenbank und die einzelnen mit der Chinon aufgenommenen Bilder zu kommen! Ein beispielsweise in alten Notebooks vorhandener PCMCIA-Karten Slot nimmt die Karte der Chinon ES-3000 mechanisch auf, und das war's. Keine Chance an die Fotos zu kommen.

Ganz anders die Kodak DC50 Zoom. Da wird Foto für Foto wahlweise auf eine große PCMCIA-Karte abgelegt oder komfortabel auf eine nicht zu große CompactFlash-Karte (32 MB) im PCMCIA-Adapter. Die Kodak KDC (*.kdc) Dateien lassen sich unter Mac OSX mit Lemkes GraphicConverter oder XNconvert sowie XnView oder IrfanView unter Windows öffnen.

Wie sangen die Prinzen (*): "Alles nur geklaut…"

1993 hatte die deutsche Kombo ihren Hit "Alles nur geklaut". Mehr fällt mir dann im Nachhinein auch zu Logi(tech) nicht ein. Selbst der Fotoman war keine Logi-Erfindung, sondern ein entsprechend auf Wunsch – weißes Kunststoffgehäuse – fremdgefertigtes OEM-Produkt, das es unter anderem auch als DYCAM MODEL 3 gab. Und die Handscanner? Unabhängig produziert, Gehäuseform und Aufdruck ein wenig geändert, fertig war das gewünschte Gerät.

Ralf Jannke, Frühjahr 2020

 

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