Buchfund mit Folgen ;-)

Bei dem Foto sollte alles zusammenpassen. 1964 war die Sommer-Olympiade in Tokyo/Japan, Nikons Erfolg wurde mit der extrem robusten und ausbaufähigen Spiegelreflexkamera F nicht nur auf den Sommerspielen immer größer, das auf meiner F montierte 85 mm Tele wurde in seiner ersten Version 1964 vorgestellt. OK, meine F ist nicht von 1964, und das wirklich von unzähligen Vorbesitzern extrem gebrauchte 85er ist lt. Seriennummer von 1972. Der sonst auf dieser F sitzende Belichtungsmess-Prismensucher Photomic FTN (von 1968) wurde gegen den simplen — Pardon Nikon F2 — Lichtschacht ausgetauscht, nachdem ich dort die Namensplatte abgeschraubt habe … Was dem Gesamteindruck aber keinen Abbruch tun sollte …

Jetzt geht es um das:

Nikon NIKKOR-HC AUTO 1:1.8 f=85mm

Lange überfällig!

Bisher nur auf der 20 Megapixel "Halbformat" Sony DSLM Alpha A 3000 adaptiert, der Nikon-Klassiker jetzt endlich im angestammten analogen 24x36 mm Kleinbildformat, 2021 im digitalen Vollformat! Die erste Version wurde 1964 vorgestellt, mein 85er wurde lt. Seriennummer zwischen 1972 und 1975 produziert. Das lichtstarke 85er ist aus sechs Linsen in vier Gruppen aufgebaut. Filtergewinde 52 mm, Nahdistanz 1 m.

Linsenschnitte "Sonnar"

Wenn ich die Linsenschnitte studiere, müsste es sich auch beim 85 mm Nikkor um ein "Sonnar" handeln. Ich lasse mich aber gerne korrigieren. Eine uralte Konstruktionsbauweise, die sich Carl Zeiss Jena bereits 1931 für ein lichtstarkes 50 mm Normalobjektiv patentieren ließ. Das Sonnar gab es 1932 als 1:2 f=5cm (50 mm) Normalobjektiv oder noch lichtstärker als 1:1,5 f=5cm. Auch das 85er gab es bereits 1932 als Sonnar 1:2 f=8,5 cm! Denkt man an die niedrige Empfindlichkeit damaliger Filme, gestattete nur Lichtstärke f/1,5 oder f/2 Aufnahmen bei wenig Licht oder schnelle Verschlusszeiten. Aber das war es längere Zeit mit derartigen Lichtstärken für ein leichtes Tele bis 85 mm Brennweite für Kleinbildkameras. Das 13,5 cm (135 mm) Sonnar von 1932 hatte nur Lichtstärke 1:4. Mehr Licht für mehr Brennweite kamen erst gut 20 Jahre später. Beispielsweise 1951 in Form des 1,5/85 mm Nikkors für die eigene Messsucherkamera-Reihe. Und was ist mit Leica? Ich bin da kein Experte! 1931 gab es ein 1,9/73 mm Hektor, 1935 ein 2,2/90 mm Thambar, 1948 ein 1,5/85 mm Summarex.

Aber mehr Brennweite und Lichtstärke als 85/90 mm? NIKKOR-P Auto 1:2.5 f=105mm

Unter anderem Nikon hatte für seine Messsucherkameras 1953 ein 105er mit Lichtstärke f/2,5 im Programm, das es oben abgebildet ab 1959 auch für die Nikon F Spiegelreflexkamera gab. Ein weiterer Nikon-Klassiker. Der noch wartet, auf die Z6 adaptiert zu werden! 1965 präsentierte Canon sein 2,5/135 mm Canon FL, 1968 stellte (Asahi) Pentax sein 2,5/135 mm in Dienst.

"Nur" Lichtstärke f/2?

Es hat bis 1975 gedauert, als Nikon den FotografInnen ein 2/135 mm zur Verfügung stellte. Das gleichstarke 2/135 mm Canon FD kam 1980. Am Zahlenwert unterboten, an Lichtstärke überboten, hatte Soligor vermutlich auch in diesem Zeitraum alleine drei lichtstarke 135er im Angebot: 1:2/135 mm, 1:1.8/135 mm und 1:1.5/135 mm! Und nicht zu vergessen, das Vivitar Serie 1 2,3/135 mm.

Soweit die "kurzen" Teleobjektive. Die hohe Lichtstärke f/2 für ein 85er zieht sich bis heute durch. Mit f/1,8 noch "einen Tick" heller, wurde das 85er bis heute noch lichtstärker. Offenblende f/1,4 fürs 85er gibt es seit 1981 und Canon bot bereits 1986 ein superlichtstarkes 1,2/85 mm. Möglich durch Einsatz asphärisch geformter Linsen.

Zurück zum braven Nikon NIKKOR-HC AUTO 1:1.8 f=85mm

Der für mich zwischen unterhaltsam, albern und umstritten pendelnde Amerikaner Ken Rockwell hat einen wirklich lesenswerten Beitrag über das "Nikon 85mm f/1.8 Manual Focus (1964-1977)" geschrieben. Auch wenn er dem 1,8/85 mm MF Nikkor attestiert: "Good, but Nikon's worst 85mm." — "Gut, aber Nikons schlechtestes 85mm", schreibt er auch: "Everyone needs an 85mm lens." "Jeder braucht ein 85 mm Objektiv." Warum? Dazu etwas Philosophie, eigene Erfahrung.

85 mm Kleinbildbrennweite: das wahre Normalobjektiv?

Gibt es dafür einen Beleg? Ich kann nur für mich selbst sprechen. Von der reinen Definition wurde die Diagonale des 24 x 36 mm Kleinbildformats als Brennweite des Normalobjektivs festgelegt. Die Diagonale misst 43 mm. Somit kann man alles im Brennweitenbereich von 50 +/- 10 mm als Normalobjektiv bezeichnen. Beim Blick durch den Sucher mit montiertem 85er war mir immer wieder aufgefallen, dass der Bildwinkel, den das Auge geradeaus — mir fällt keine bessere Bezeichnung ein — als scharf erfasst, eher einem Bildwinkel, einer Brennweite von 85 mm statt 50 mm entspricht. Es geht nicht darum, was das Auge im äußersten Blickfeld noch registriert, es geht um den wirklich scharf erfassten Bereich/Bildwinkel. Der liegt für mich gefühlt eher bei 85 mm Kleinbildbrennweite. Zusätzlich bestätigt durch Adaption diverser 50 mm Normalobjektive auf die spiegellose Systemkamera mit kleinem 15 x 23 mm APS-C Sensor. Durch den Cropfaktor von 1,5-1,6 wird das 50er zum 75/80er. Der Blick aufs Motiv und durch den Sucher wirkte auf mich immer wieder seltsam vertraut.

Und was Rockwells Bemerkung des "schlechtesten 85ers" angeht, kann ich Entwarnung geben!

Und moderne 85er?

Unter "Mit drei Festbrennweiten zum Basketball" habe ich mich intensiv mit dem hervorragenden 1,8/85 mm Viltrox befasst. Ob das Viltrox bei Stativeinsatz im Gegensatz zum 50 Jahre alten und unübersehbar extrem gebrauchten 85 mm Nikkor besser "performt" interessiert mich — NULL.

Schon beim Praxisbericht zum 45 mm GN Nikkor und ähnlich beim 1,8/85 mm Soligor LINK geschrieben, kann ich dort gemachte bestimmte Bemerkungen getrost fürs 85 mm Nikkor übernehmen: "Mit jedem Einsatz von derartigem (Ur-)Altglas wächst mein Unverständnis, warum sich die Leute für neu gerechnete, lichtstarke, monströse, schwere und auffällige Normalobjektive soviel Geld aus der Tasche ziehen lassen. Dpreview.com hatte die Frage gestellt, die sich auch auf ganz aktuelle 35 und 85 mm Objektive übertragen lässt: "Why are modern 50mm lenses so damned complicated?" — "Warum sind moderne 50 mm Objektive so verdammt kompliziert?" Ein interessanter Beitrag von dpreview.com, um zu zeigen was nötig ist, um aus hochauflösenden Bildsensoren das Maximum an Bildqualität rauszuholen.

Und?

Ist letzte Bildqualität alles, was ein Foto ausmacht? Wieviele Anwender haben vielleicht schon festgestellt, dass das Superobjektiv bei einem flächigen Test-Motiv einer Schärfeebene tatsächlich bei Offenblende eine tolle Abbildungsleistung bis in die Bildecken liefert, wirkliche Motive mit diesen Festbrennweiten gerne bei großen Blendenöffnungen in der realen Fotowelt aber erarbeitet werden müssen. Eben das, was Fotografie auch ausmacht! Dass das teure Renommier-Objektiv absolut kein Garant für besondere Fotos ist, wird dann erst nach Erwerb festgestellt. Ein Spitzenfoto wird durch etwas Unschärfe in den Bildecken nicht schlechter und umgekehrt ein Foto-Langweiler kein bisschen besser, nur weil die Ecken knackscharf sind … Was eine Erklärung dafür sein könnte, warum auffallend viele dieser neugerechneten Top-Objektive bei eBay auftauchen. Und diese Fehlkäufe bei unrealistischen Preisvorstellungen dort wie Blei oder sehr lange liegen.

Keine Frage, dass ein modernes Objektiv mit Autofokus sein muss – 85 mm Viltrox –, wenn es um schneller bewegte Motive geht. Aber für beschauliches, entschleunigtes Fotografieren?

Erste Beispielfotos (4 MP)

Volle 24 Megapixel

Der einstweilige Rest (4 MP)

Qualitäts- und sonstiger Eindruck

Viel zu schreiben gibt es nicht mehr. Interessant ist noch das Foto mit den bunten Blumen und dem Deko-Schaf im Hintergrund. Brutal durch den Maschendraht fotografiert, der durch die Offenblende des 85 mm Nikkors fast komplett unsichtbar wird! Das Nikon NIKKOR-HC AUTO 1:1.8 f=85mm geht nur deshalb nicht mit in die Ferien, weil dort ein weiterer Nikon Klassiker wartet! Das oben abgebildete Nippon Kogaku (Nikon) NIKKOR-P 1:2.5 f=105 mm. Diese beiden Tele-Nikkore werden mit dem lichtstarken 1,4/35 mm Nikkor und dem ultralichtstarken 1,2/55 mm Nikkor meinen festen Festbrennweiten-Stamm bilden!

Gerne gesellen sich dazu ganz nach Lust und Laune, Tagesform/Mitnahme noch das kaputte Nikon NIKKOR 20mm 1:3.5, das gleichlichtstarke Nippon Kogaku Japan NIKKOR UD-Auto 1:3.5 f=20mm, das feine und noch gar nicht beachtete Nippon Kogaku Japan NIKKOR-S Auto 1:2.8 f=35mm. Und wenn es etwas mehr Brennweite sein soll, wird als einziges Zoom das immer noch großartige NIKKOR-C Auto 1:4.5 f=80-200mm montiert, das bedenkenlos bei Offenblende eingesetzt werden kann!

Ralf Jannke

 

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