Rostige Nägel – oder: Wie produziert man einen Hype

Avatar of Boris JakubaschkBoris Jakubaschk - 24. Januar 2018 - Sammeln

Nehmen wir mal an, es gäbe eine Sammlerszene für alte Eisenbeschläge und Sie seien stolzer Besitzer von zwei leidlich gut erhaltenen Nägeln – etwas angerostet und nur einigermaßen gerade, dafür aber bestimmt irgendwie historisch.

Sie könnten die jetzt zum nächsten Flohmarkt tragen und mit viel Glück 50 Cent mit nach Hause nehmen. Es geht aber auch besser. Viel besser. Hier die ultimative Anleitung zum Maximalerlös. Aber bitte nicht weitersagen – sonst macht es vielleicht bald jeder so:

  1. Machen Sie ein ansprechendes und appetitliches Foto des schöneren Nagels. Denken Sie sich eine Geschichte dazu aus, beispielsweise was dieser Nagel bereits zusammengehalten hat. Oder hätte zusammenhalten können. Was andere Nägel dieses Typs bereits geleistet haben. Und dass ihrer maximal zweimal benutzt wurde und seither ein behütetes Vitrinenstück war.
  2. Machen Sie ein Verkaufsangebot auf der Auktionsplattform Ihres Vertrauens. Setzen Sie den Preis auf einen bemerkenswerten Betrag fest. Beispielsweise 4900 Euro als Sofortkauf. Ein Shitstorm in Kreisen der Eisenwarensammler ist Ihnen gewiss. Das macht aber gar nichts. Warten Sie die Auktion einfach ab.
  3. Stellen Sie den Nagel sofort erneut ein. Reduzieren Sie den Preis nun auf einsteigerfreundliche 1200 Euro. Es wird sich niemand mehr darüber aufregen - erfahrene Sammler werden Sie grimmig ignorieren. Und weniger erfahrene nehmen dies als Indiz, dass 1200 Euro ein offenbar angemessener Preis für so einen Nagel ist. Gleichzeitig wächst der Wunsch, so ein schönes Stück zu besitzen. Auch diese Auktion geht irgendwann zu Ende.
  4. Und erneut stellen Sie den Nagel zum Verkauf. Gleichzeitig stellen Sie den anderen Nagel als normale Auktion ab einem Euro ein. Natürlich mit schlechterer Beschreibung und schlechterem Bild. Nagel Nummer 1 wird weiterhin nicht verkauft. Aber Nummer 2 wird zum Renner: Nach längerer Bieterschlacht geht er für satte 822,50 Euro an den Meistbietenden. Der stolze neue Besitzer wird seine Erwerbung herumzeigen und so den Ruhm besagten Nagelmodells weiter mehren.

Resultat: Sie haben 822 Euro mehr bekommen als auf dem Flohmarkt. Und haben noch einen ziemlich wertvollen Nagel übrig - für Ihre eigene Sammlung.

Sie finden, dass das niemals funktioniert und diese Geschichte reichlich an den Haaren herbeigezogen ist? Dann schauen Sie mal in Ebay vorbei und suchen Sie nicht nach Nägeln, sondern nach den etwas selteneren Exemplaren unter den Digitalkameras. Da ist dieses Verfahren immer mal wieder wunderschön zu besichtigen. Und anschließend bekommen wir dann Mails in der Art von: „Ich habe hier eine Megashot A5 Turbo. Die wurde erst kürzlich bei Ebay für 5000 Euro angeboten. Was würdet ihr mir dafür bieten?“

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Was ist digicammuseum.de?

Die analoge Fotografie blickt auf eine etwa 170-jährige Geschichte zurück, seit etwa 100 Jahren sind Fotoapparate auch für Privatleute erschwinglich. Trotzdem sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die Fotografie zu einem Hobby für Millionen von Menschen wurde und der Fotoapparat zum selbstverständlichen Accessoire jeder Urlaubsreise.

Um so überraschender ist es zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit die etablierte Technik in wenigen Jahren nach der Jahrtausendwende in eine Nischenexistenz zurückgedrängt wurde. Ersetzt wurde sie durch Digitalkameras. Diese haben in kürzester Zeit eine atemberaubende Evolution durchlaufen und haben ihre analogen Vorfahren weitgehend überflüssig gemacht. In fast allen Haushalten wurde die alte Spiegelreflex- oder Kompaktkamera durch ein digitales Modell ersetzt.

Während die meisten analogen Kameras viele Jahre, teilweise auch Jahrzehnte lang genutzt wurden, landen die meisten Digitalknipsen nach drei bis vier Jahren in der Schublade und müssen einem leistungsfähigeren Modell weichen. Die technischen Fortschritte werden jedoch immer kleiner. Digitalkameras haben einen Stand erreicht, der keine drastischen Verbesserungen mehr zulässt. Der Boom fand seinen Höhepunkt um die Jahre 2008-2010 und hat seither deutlich nachgelassen.

Das ist auch schon rein äußerlich zu erkennen: In den ersten Jahren war bei den Herstellern von Digitalkameras der Wille zu beobachten, die neue Technik auch für Innovationen in Design, Bedienung und Funktionalität zu nutzen. Inzwischen ist diese Phase weitgehend vorbei und die Hersteller haben zu den aus analoger Zeit bekannten Kameratypen zurückgefunden: Kompaktkameras auf der einen und Systemkameras auf der anderen Seite.

Die in Smartphones eingebauten Kameras sind inzwischen jedoch so gut, dass sie Kompaktkameras die Existenzberechtigung geraubt haben. Wozu ein separates Gerät kaufen, wenn man vergleichbare Bilder auch mit dem Handy hinbekommt, das man zudem immer in der Tasche hat?

Es entsteht so im Moment die paradoxe Situation, dass so viel fotografiert wird, wie noch nie in der Geschichte - und gleichzeitig immer weniger "richtige" Kameras verkauft werden. Mag sein, dass die Ära der Fotoapparate für jedermann zu Ende geht und bald nur noch Hobbyfotografen und Profis als Kamerakäufer übrig bleiben. Deswegen ist nicht zu früh, die "wilden Jahre" der Digitalkamera-Entwicklung zu dokumentieren.

Diese Homepage war anfangs vor allem als virtuelles Museum meiner Kamerasammlung gedacht. Inzwischen ist daraus ein Projekt geworden, bei dem ein wachsender Kreis von Autoren tolle Beiträge zur Digitalkamera-Geschichte beisteuert. Den weitaus größten Anteil daran hat Ralf Jannke, der mit seinen Praxisbeiträgen die verschiedensten Themen detailliert behandelt und großartig bebildert. Was sich allerdings nicht geändert hat: Die Homepage ist ein reines Hobby- und Spaßprojekt. Wir freuen uns über den Austausch mit anderen Sammlern und Fotobegeisterten. Es gibt keine Werbung und wir sind auch keine bezahlten Influencer. Falls Sie allerdings noch eine spannene Kamera herumliegen haben, die Sie nicht mehr brauchen - wir sind immer auf der Suche nach weiteren Exponaten.

Boris Jakubaschk