ZEITWENDE

Avatar of Ralf JannkeRalf Jannke - 15. September 2016 - Wissen

Auch wenn es im digicammuseum.de um (ur)alte, historische Digitalkameras bis etwa Baujahr 2005 geht, ist der Blick in die Zukunft nicht verboten. Im Erfahrungsbericht zur Nikon D2X hatte ich geschrieben: "Nachdem auch ich das Pixelrennen (...) bald Jahr für Jahr mitgemacht habe, wie es sich für einen anständigen Konsumenten gehört, war 2012 Schluss! Abgeschreckt von den in immer höherer Frequenz präsentierten Neuvorstellungen, abgestoßen von immer geistloser werdenden Kommentaren im Internet, besonders was den Vergleich Digitale Spiegelreflexkamera - Digital Single Lens Reflex (Camera) DSLR gegen (spiegellose) Digital Single Lens Mirrorless – DSLM – angeht. Wo Fanboys für die hochwertige Spiegelreflexkamera den ausgesprochen schwachsinnigen Begriff: "Spiegelklatscher" erfunden haben.

Und, was ist daran so bemerkenswert, wird sich der eine oder andere fragen?

Seit Vorstellung der ersten spiegellosen Systemkamera Panasonic Lumix G1 2008 wurden die Hersteller dieser Kameras nicht müde, die – sinngemäß – „weltschnellste automatische Entfernungseinstellung“ ihres jeweils frischen Modells zu betonen. Wobei man genau lesen muss: "weltschnellste automatische Entfernungseinstellung." Ja, aber auf was?

Die Wortwahl deklariert(e) einfach nur einen schnellen AF, OHNE die dazu passenden Motive zu nennen. Bei einem Gedankenversuch, wo DSLM und DSLR im Wettbewerb von – sagen wir – unendlich auf einen unbeweglichen, kontrastreichen Testaufbau in vielleicht 3 m Entfernung fokussieren muss, vergleichbare Brennweiten vorausgesetzt, gewinnt die DSLM mit geschätzt 90 von 100 Treffern, die DSLR schafft nur gefühlte 70 Treffer... Diese überragenden Fähigkeiten weckten 2011 mein Interesse an einer wirklich schicken, in meinen Augen wirklich gelungenen Systemkamera im Retro-Stil, der Olympus PEN E-P3 von 2011. Was für eine Enttäuschung, als diese wunderbare Kamera nicht in der Lage war die eigenen spielenden Kinder sicher zu fokussieren und in einer dunklen Umgebung die automatische Fokussierung schließlich ganz verweigerte. Durchaus mit einer gewissen Traurigkeit habe ich die Olympus PEN E-P3 dann wieder abgestoßen.

Bewegte Motive scheinen die DSLM also (immer noch?) vor hohe Hürden zu stellen

Damit sollte 2016 dann Schluss sein. Da wollte eine DSLM bei der Verfolgung eines bewegten Motivs sogar besser sein als eine gehobene DSLR. Für mich wurden die Testbedingungen so realitätsfern angelegt, dass die DSLM auf keinen Fall schlecht abschneidet. Es wurden Messreihen mit unterschiedlichen Helligkeiten und zwei gleichmäßigen Motivgeschwindigkeiten durchgeführt: 0,4 m/s und 1 m/s. Wie schnell ist das eigentlich? 1,44 km/h bzw. 3,6 km/h... Ob da vorher mal einer gerechnet hat, welche (Durchschnitts-) Geschwindigkeit beispielsweise ein 100 m Läufer erreicht? Vermutlich nicht. Bei 100 m in 10 s sind das 36 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Die 10-fache Geschwindigkeit dieses „Tests“! Nicht nur Leichtathleten schaffen das, auch Top-Sportler in den verschiedenen Ballsport-Ligen sind derart schnell. Im Jugendsport laufen 8-jährige die 50 m in 10 s, also mit 18 km/h. Fürs Sportabzeichen in Gold müssen Männer die 1000 m in 5 min schaffen – mit 12 km/h.

Wenn es aber (nicht nur) im Ballsport zur Sache geht, gibt es nicht nur Sprints, deren Geschwindigkeit bis zum 10-fachen der „Fach“-Magazin-Testgeschwindigkeit liegt, sondern dazu kommen abrupte Stopps, ebenso plötzliche Richtungsänderungen und so weiter. Spieler, Schiedsrichter laufen durchs Bildfeld und verdecken kurzzeitig das Hauptmotiv. Sie können auch gern spielende, durcheinander „wuselnde“ Kinder nehmen, die sicher weniger schnell sind. Auf all das muss der Autofokus einer Kamera zuverlässig reagieren können. Aus der Trefferquote beim Ablichten eines Testmotivs, was sich in einem gleichmäßigen Schneckentempo bewegt, auf die eben beschriebenen Bedingungen zu schließen, ist mindestens gewagt.

Und doch hat mein Weltbild jetzt einen Riss bekommen!

Der feste freie Fotograf für den Hauptsponsor der Basketballmannschaft, der die Heimspiele dokumentiert, sonst aber hauptsächlich Firmen-Events, IFA, cebit, Vorstandssitzungen und dergleichen fotografiert, verwendet seit ewigen Zeiten mit Canon. Bevorzugtes Arbeitsgerät ist die EOS 1D MK IV/X in der Basketballhalle bestückt mit dem 2,8/70-200 Canon. Nach ersten Versuchen mit einer Fuji XT-1 kam er beim letzten Spiel mit dem Nachfolgemodell XT-2. Auf der XT-2 das Fuji-Zoom 2,8/50-140, das auf Kleinbild umgerechnet dem 2,8/70-200 entspricht. Gut 1 kg leichter als die Canon und das Zoom und mit einer beeindruckenden Trefferquote. Auf Wunsch mit 11 B/s! Schärfemäßig gemeinsam auf dem großen Notebook-Monitor in 1:1/100 Prozent Darstellung kontrolliert. Einwandfrei getroffenen Schärfe, kein störendes Rauschen bei ISO 2500! Trotz des kleineren 15x23 mm APS-C Sensors der Fuji gegenüber dem 19x29 mm APS-H- oder 24x36 mm Vollformatsensor der Canon EOS 1D! Sein Fazit: Bei vorhersehbaren Örtlichkeiten/Veranstaltungen und anderen Gelegenheiten geht nur noch die leichte Ausrüstung mit! Im Fuji XT-System fehlt fast nichts mehr. Das Pendant zum 14/15/16-24/35 mm Kleinbildzoom ist vorhanden, (super)lichtstarke Weitwinkel, lichtstarke Porträt-Tele und mit dem 4,5-5,6/100-400 = 4,5-5,6/150-600 bei Kleinbild wird bis auf die Lichtstärke auch der Supertelebereich abgedeckt.

Um es ganz klar zu stellen: Ich bekomme NICHTS nichts für diesen Blogeintrag!

Ich wollte die Erfahrung aber gerne weitergeben! Wer beginnt, sich für eine DSLM zu interessieren und auch schnell und unregelmäßig bewegte Motive ablichten will/muss, tat gut daran bis 2016 zu warten. Ganz wichtig die Aussage des Berufsfotografen: NICHT die Fuji XT-1 ist es, die derzeit zu interessanten Preisen abverkauft wird, es MUSS der Nachfolger XT-2 sein, der diese Autofokus-Leistung bringt! Der Fotograf hat beide Fuji DSLMs!

8 Jahre hat es also gedauert, bis die DSLM tatsächlich zur DSLR aufschließt, was die Verfolgung unregelmäßig und schnell bewegter Motive angeht. Unter realistischen Praxisbedingungen ausprobiert.

Und die restliche DSLM-Welt? Mit ihrem 15x23 mm großen APS-C-Sensor bietet die Fuji einen gelungenen Kompromiss. Micro Four Thirds (mFT) ist (mir) mit 13x17 mm Sensorfläche einfach zu klein! Was nichts über die möglicherweise auch in dieser Klasse erreichte AF-Qualität aussagt. Aber sehen will ich es! Davon sehe ich bisher nichts beweiskräftiges! Und das trifft auf die 24x36 mm Vollformat-Sensor-Sonys genau so zu. Und bei der Fuji XT-2 nicht zu vergessen, sie nimmt auf Wunsch auch Videos in 4K auf...

NACHTRAG

Noch am Tag der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags stellt Canon seine DSLM EOS M5 vor. Sieht gut aus, aber der erste Eindruck wird durch das auf einer Internetseite gezeigte 3,5-6,3/18-150 mm Zoom und woanders abgebildete (schon mit der M3 verfügbare) 3,5-6,3/15-45 mm Zoom für mich stark getrübt. Nur Licht-„STÄRKE“ f/6,3? Wie eine Plastik-Holga-Knipslinse aus den 1960er Jahren. Außer den Canon Festbrennweiten EF-M 2,0/22 STM und EF-M 3,5/28 IS STM Makro fehlt da noch jede Menge an Objektiven. Immerhin ist da noch jede Menge Luft nach oben! Dass DSLR EF-Linsen per Canon Mount Adapter EF-EOS M verwendbar sind, ist schon mal hervorragend, bringt aber keine Volumen- und Gewichtsersparnis. Was der EOS M5-Autofokus leistet, muss erst die nächste Zeit zeigen!

ZEITWENDE bei Nikon? Fehlanzeige!

Was für eine alberne Geheimnistuerei, was für ein Brimborium. Nach den V1/V2-Spielzeugen keine sehnlichst erwartete DSLM mit Sensor annehmbarer Größe, sprich 15x23 mm APS-C! Stattdessen für alberne GoPro-Klone eine Pressekonferenz... Wie heißt doch das Shakespeare-Stück? „Viel Lärm um nichts...“ Will oder kann Nikon die Zeichen der Zeit nicht erkennen? Schwacher Trost, dass Nikon 2017 100 Jahre alt wird und dann – vielleicht – was kommt...

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Was ist digicammuseum.de?

Die analoge Fotografie blickt auf eine etwa 170-jährige Geschichte zurück, seit etwa 100 Jahren sind Fotoapparate auch für Privatleute erschwinglich. Trotzdem sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die Fotografie zu einem Hobby für Millionen von Menschen wurde und der Fotoapparat zum selbstverständlichen Accessoire jeder Urlaubsreise.

Um so überraschender ist es zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit die etablierte Technik in wenigen Jahren nach der Jahrtausendwende in eine Nischenexistenz zurückgedrängt wurde. Ersetzt wurde sie durch Digitalkameras. Diese haben in kürzester Zeit eine atemberaubende Evolution durchlaufen und haben ihre analogen Vorfahren weitgehend überflüssig gemacht. In fast allen Haushalten wurde die alte Spiegelreflex- oder Kompaktkamera durch ein digitales Modell ersetzt.

Während die meisten analogen Kameras viele Jahre, teilweise auch Jahrzehnte lang genutzt wurden, landen die meisten Digitalknipsen nach drei bis vier Jahren in der Schublade und müssen einem leistungsfähigeren Modell weichen. Die technischen Fortschritte werden jedoch immer kleiner. Digitalkameras haben einen Stand erreicht, der keine drastischen Verbesserungen mehr zulässt. Der Boom fand seinen Höhepunkt um die Jahre 2008-2010 und hat seither deutlich nachgelassen.

Das ist auch schon rein äußerlich zu erkennen: In den ersten Jahren war bei den Herstellern von Digitalkameras der Wille zu beobachten, die neue Technik auch für Innovationen in Design, Bedienung und Funktionalität zu nutzen. Inzwischen ist diese Phase weitgehend vorbei und die Hersteller haben zu den aus analoger Zeit bekannten Kameratypen zurückgefunden: Kompaktkameras auf der einen und Systemkameras auf der anderen Seite.

Die in Smartphones eingebauten Kameras sind inzwischen jedoch so gut, dass sie Kompaktkameras die Existenzberechtigung geraubt haben. Wozu ein separates Gerät kaufen, wenn man vergleichbare Bilder auch mit dem Handy hinbekommt, das man zudem immer in der Tasche hat?

Es entsteht so im Moment die paradoxe Situation, dass so viel fotografiert wird, wie noch nie in der Geschichte - und gleichzeitig immer weniger "richtige" Kameras verkauft werden. Mag sein, dass die Ära der Fotoapparate für jedermann zu Ende geht und bald nur noch Hobbyfotografen und Profis als Kamerakäufer übrig bleiben. Deswegen ist nicht zu früh, die "wilden Jahre" der Digitalkamera-Entwicklung zu dokumentieren.

Diese Homepage war anfangs vor allem als virtuelles Museum meiner Kamerasammlung gedacht. Inzwischen ist daraus ein Projekt geworden, bei dem ein wachsender Kreis von Autoren tolle Beiträge zur Digitalkamera-Geschichte beisteuert. Den weitaus größten Anteil daran hat Ralf Jannke, der mit seinen Praxisbeiträgen die verschiedensten Themen detailliert behandelt und großartig bebildert. Was sich allerdings nicht geändert hat: Die Homepage ist ein reines Hobby- und Spaßprojekt. Wir freuen uns über den Austausch mit anderen Sammlern und Fotobegeisterten. Es gibt keine Werbung und wir sind auch keine bezahlten Influencer. Falls Sie allerdings noch eine spannene Kamera herumliegen haben, die Sie nicht mehr brauchen - wir sind immer auf der Suche nach weiteren Exponaten.

Boris Jakubaschk